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Diagonale ≡ „Waldheims Walzer“ (2018)

Der neue Film von Ruth Beckermann, „Waldheims Walzer“, war schon im Vorfeld der Diagonale 18 als „Schwergewicht“ des Festivalprogramms gehandelt worden: Der große Dokumentarfilm-Preis vor einigen Wochen bei der Berlinale trug wohl auch einiges zur vorauseilenden Aufmerksamkeit bei. Dazu: Die politische Aktualität einer Geschichte über die Wahrheit, die Verdrehung derselben, das „Vergessen“ und Vergessen-Wollen und das Nicht-Vergessen-Sollen – gerade im „Gedenkjahr 2018“ (80 Jahre Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland).


„Waldheims Walzer“ kombiniert persönliche Eindrücke und Aufnahmen der Regisseurin, die sich bereits 1986, zu Zeiten der „Waldheim-Affäre“, polit-aktivistisch engagiert hatte, mit vielfältigem Archivmaterial. Der Film zeichnet das Porträt eines Mannes – Kurt Waldheim, ehemaliger UN-Generalsekretär und österreichischer Bundespräsident – dessen Biographie exemplarisch für den jahrzehntelangen Umgang des Landes mit seiner NS-Vergangenheit steht: Man könne sich nicht erinnern, man sei nicht dabei gewesen, das sei alles zu lange her, und überhaupt habe man habe nur „die Pflicht“ getan. Waldheim erscheint als zwar kluger Mann mit guten Manieren, der aber offenbar (dunkle) Kapitel seiner eigenen Geschichte verdrängt, ausgeblendet, verschleiert hatte – ebenso wie die gesamte österreichische Nation – die Öffentlichkeit belog, und dachte, damit „durchzukommen“.

Im Vorfeld des Präsidentschaftswahlkampfs 1986, bei dem Waldheim gegen den SPÖ-Kandidaten Kurt Steyrer antrat, kamen erste öffentliche Zweifel an Waldheims Version seiner eigenen Vergangenheit auf: Profil-Journalisten fanden alte Aufzeichnungen, wonach Waldheim zwischen 1938 und 1942 für die SA tätig gewesen war, und davor Mitglieder mehrerer NS-Jugendorganisationen. Hinzu kamen Vorwürfe, am Mord an Juden beteiligt gewesen zu sein – oder zumindest davon gewusst zu haben: Was Waldheim stets (und nicht unbedingt glaubwürdig) bestritt. Als sich schließlich auch noch der in den USA ansässige „Jewish World Congress“ in die Untersuchung einklinkte, und immer neue Erkenntnisse über Waldheims dubiose Vergangenheit zu tage förderte, war der (internationale) Skandal perfekt.

Waldheim wurde 1986 dennoch gewählt – war aber seine komplette Amtszeit über politisch isoliert. Die USA setzten ihn auf die „Watchlist“, kein westlicher Staat lud Waldheim zu einem Staatsbesuch ein.

Die Affäre war aber auch der Anfang einer ernsthafteren, ehrlicheren Auseinandersetzung des Staates Österreich mit der eigenen Vergangenheit, die Zeit des Erwachens einer aktiven „Zivilgesellschaft“, der Infrage-Stellung des österreichischen „Opfermythos“, und der Entschuldigung bei jüdisch-österreichischen Opfern der NS-Zeit.

„Waldheims Walzer“ illustriert gut die politische Stimmung im Lande vor gut 30 Jahren, die schwierige Auseinandersetzung eines Staates mit seiner historischen Verantwortung, aber auch die weiter vorhandene Aktualität derselben Themen: Manche Aussagen von damaligen ÖVP-Protagonisten, die ihren Kandidaten verteidigten, erinnern frappant an auch heute immer wieder Vernehmbares einer anderen österreichischen (Regierungs-)Partei.

Ein wichtiger Film, der ohne erhobenen Zeigefinger auskommt, großteils nüchtern dokumentiert, und auch der persönlichen Sicht der Regisseurin (die auch als Erzählerin durch den Film führt) viel Raum gibt. Und ein weiterer, mehr als sehenswerter Beitrag bei der Diagonale 18, die, so scheint es, keine schlechten Filme im Programm führt.

von Christian Klosz

Fotos: Lukas Beck / Ruth Beckermann Filmproduktion – Diagonale

 

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