Website-Icon Film plus Kritik – Online-Magazin für Film, Kino & TV

„Hereditary“ – Kritik

Als die Großmutter der Familie Leigh im Alter von 78 Jahren nach langer Krankheit verstirbt, gerät die Welt ihrer Angehörigen völlig aus den Fugen. Neben Annie, der Tochter, die von Schuldgefühlen geplagt wird, ist es vor allem die introvertierte Enkelin Charlie, die mit dem Ableben ihrer engsten Bezugsperson zu kämpfen hat. Die mysteriösen Ereignisse rund um die Hinterbliebenen häufen sich, und es wird klar, dass die Vergangenheit der Familie ein dunkles Geheimnis birgt.

„Hereditary – Das Vermächtnis“ ist das Langfilmspieldebut des US-Amerikaners Ari Aster und hat eine Lauflänge von 128 Minuten. Der Psychothriller/Horrorfilm, der im Januar 2018 im Rahmen des Sundance Film Festivals seine Weltpremiere feierte, ist seit dem 14. Juni nun auch landesweit in den Lichtspielhäusern zu bestaunen.

Vorauseilende Huldigungen sind ein zweischneidiges Schwert. Einerseits vermögen sie es, ambitionierten Werken die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die sie verdienen; auf der anderen Seite schüren sie aber auch hohe Erwartungen, an denen sich die betreffenden Filme letztlich messen lassen müssen. Im Falle des zuletzt gehypten „Veronica“ folgte auf das vorab intonierte Loblied der klagende Abgesang. Ari Asters Werk dürfte diesem Schicksal entgehen.

Der Trailer lässt es bereits erahnen: „Hereditary“ ist kein Mainstream-Horror, sondern richtet sich klar an tendenziell anspruchsvolleres Publikum. Vorhersehbare Jump-Scares und polternd schrille Soundeffekte lässt Aster links liegen und setzt stattdessen auf eine intensive Story, die sich mit Hilfe einer fantastischen Inszenierung im Laufe seiner Spielzeit zu einem fiesen Hybrid entwickelt, der Liebhaber von Werken wie „The VVitch“ oder „mother!“ mühelos in seinen Bann ziehen wird.

Sonderbare Verhaltensweisen der Protagonisten und herrlich diffuse Kamerafahrten ebnen den Weg zu einem verfilmten Albtraum, der schon zu Anfang mächtig Schwung aufnimmt und abseits jeglicher Konformitäten das Bild einer zerrütteten Familie entwirft, die von Ihrer Vergangenheit gezeichnet den Kampf mit der nicht minder erschütternden Gegenwart aufnimmt. Sämtliche Emotionen, Handlungen und Gefühlsausbrüche sind authentisch und werden vom Ensemble rund um Toni Collette (Annie Leigh) so on point dargestellt, dass es den Zuschauer förmlich in den Sitz presst. An dieser Stelle sei vor allem die Leistung der jungen Milly Shapiro (als Charlie Leigh) erwähnt, die mit ihrem ausdrucksstarken Minenspiel hervorsticht und eine Darbietung nahe der Perfektion auf die Leinwand zaubert.

Unglücklicherweise nimmt sich der Film nach seiner starken Anfangsphase dann eine etwas zu ausgedehnte Ruhepause, in denen die Charaktere zwar weitere Entwicklungen erfahren, der Film aber nicht so recht vorankommen mag. Die „Enthüllung“ (beziehungsweise die etwas zu deutlich erkennbare Andeutung eines wichtigen Storydetails) ist leider ebenfalls unglücklich platziert, sodass der Spannungsbogen nicht zur Gänze hochgehalten werden kann. In Anbetracht des jungen Alters von Regisseur Aster (31!) handelt es sich aber um verzeihbare Fehler, die im furiosen Schlussakt nahezu gänzlich ausgemerzt werden können.

Ebenjener Schlussakt ist eine einzige Ansammlung verstörender Szenen, die zu jeder Zeit aber so kunstvoll und wirkungsvoll inszeniert sind, dass sie eher für permanente Gänsehaut und offene Münder als für Ekel oder Abscheu sorgen. Wunderbar zelebrierte Schockmomente und lange stehenden Bilder treiben die Anspannung zeitweise ins Unermessliche. Untermalt von skurril atonalen Klängen findet der Film an der bestmöglichen Stelle den Absprung und lässt das Publikum paralysiert zurück.

Fazit:

„Hereditary“ legt sich wie eine Schlinge um den Hals des Betrachters, die sich immer mehr zuzieht und gegen Ende kaum noch Luft zum Atmen lässt. Ähnlich wie bei erwähnten Referenzwerken bietet der Film einen außergewöhnlichen, wenn auch weniger experimentellen Ausflug in das Genre und ist damit Segen und Fluch zugleich: Ein Segen für aufgeschlossene Kinogänger, und ein Fluch für nachfolgende Horror-Emporkömmlinge mit vergleichbarem Anspruch. Diese werden sich an „Hereditary“ messen lassen müssen, was mindestens genau so schwer sein wird, wie einige der Szenen der letzten Minuten des Films wieder aus dem Kopf zu bekommen.

Bewertung:

9 von 10 Punkten

von Cliff Brockerhoff https://www.instagram.com/man_of_steelbook/


mehr Lust auf Horror?

„A Quiet Place“ – Kritik

„Ghostland“ – Kritik

Das ist ja Horror! – 5 Geheimtipps, die jeder Horrorfan kennen sollte

 

Die mobile Version verlassen