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“Der Hauptmann” von Robert Schwentke / Kritik

Als der junge Gefreite Willi Herold eine verlassene Offiziersuniform am Wegesrand findet, beschließt er nicht nur in ebenjene Uniform, sondern auch in die dazugehörige Rolle zu schlüpfen. Nach und nach schart er eine Gruppe versprengter Soldaten um sich, die sich gegen Ende des Zweiten Weltkrieges nach Führung sehnen. Dabei verfällt Herold, der als der „Henker vom Emsland“ in die Geschichtsbücher einging, immer mehr der Macht. Ein Netz aus Lügen ebnet dem Kriegsverbrecher den Weg, und niemand ahnt, zu welchen Gräueltaten der junge Soldat fähig ist.

„Der Hauptmann“ ist ein Historiendrama des deutschen Regisseurs und Drehbuchautors Robert Schwentke. Der Film hat eine Lauflänge von 119 Minuten und wurde komplett in schwarz-weiß gedreht. Er feierte im September 2017 im Rahmen des Toronto International Film Festivals seine Premiere und ist aktuell in den deutschen Kinos zu sehen.

Deutsche Filme leiden bekanntlich seit Jahren unter dem Fluch, dass sie nur selten mit internationalen Produktionen mithalten können und von vielen Filmfans eher belächelt als wirklich ernst genommen werden. Schwentke serviert mit „Der Hauptmann“ allerdings ein Werk, dass zu gleichen Teilen exzellent wie auch unglaublich ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Genrevertretern handelt es sich bei der Filmbiographie des Kriegsverbrechers Willi Herold nicht um einen pathosdurchzogenen Blockbuster mitsamt bombastischer Effekte und Identifikationsfigur, sondern viel mehr um einen authentischen und gnadenloses Blick in die Gefühlswelt der Soldaten, die im Wissen der drohenden Niederlage nach jemandem lechzen, der Ihnen wieder Hoffnung vermittelt.

Dieser jemand ist Willi Herold, der einst selber desertierte und nur aufgrund eines glücklichen Zufalls seiner eigenen misslichen Lage entkommt. Gespielt wird Herold von Max Hubacher, einem aufstrebenden Schweizer Schauspieler, der zu jeder Zeit und in jeder Situation beängstigend echt agiert und den Zuschauer so ein ums andere Mal zu beeindrucken vermag. Egal ob Herold mit gekonnter Rhetorik andere Soldaten überzeugt sich ihm anzuschließen oder ob er sich beinahe um Kopf und Kragen redet; Laubacher kann die gesamte Palette abrufen. Neben ihm finden sich weitere semi-bekannte Schauspieler im Cast, die allesamt überzeugen. Insbesondere Frederick Lau sei an dieser Stelle erwähnt, der sich in letzter Zeit immer mehr als einer der besten deutschen Schauspieler erweist.

Ebenso unglaublich wie Leistung des Casts ist der Verlauf der Geschichte. Hier richtet Schwentke vor allem den Blick auf die Täter und deren Taten, deutet aber viele Sachen mit Hilfe von gekonnten Schnitten oder Soundeffekten lediglich an. So hebt sich der Film abermals von der Masse ab und läuft nicht Gefahr, zu einem blutrünstigen Schlachtfest zu mutieren. Generell hält der Film einige sehr beeindruckende Inszenierungen bereit und weiß, abgesehen von ein bis zwei etwas missglückten computergenerierten Effekten, visuell zu überzeugen. Und auch soundtechnisch klingt „Der Hauptmann“ sehr gut, und kann neben typischen Kriegsklängen durch dröhnende Bässe an einigen Stellen auf etwas andere Art und Weise für Unbehagen sorgen.

Insgesamt erweist sich „Der Hauptmann“ als sehr guter Genrevertreter, der komplett anders als Hollywood-Produktionen wie „Dunkirk“ oder „Hacksaw Ridge“ an das Thema herangeht, den Zuschauer aber am Ende der zwei Stunden nicht weniger sprachlos zurücklässt. Emotional, ungeschönt, intensiv. Schwenktes Werk ist ein erbarmungsloser Volltreffer und zeigt auf beeindruckende Art und Weise den Zustand, den die Aneignung von Macht bei einem Individuum auslösen kann. Er findet an der perfekten Stelle sein Ende und ist vor Allem für Fans von (Anti-)Kriegsfilmen und Geschichtsinteressierte ein absolutes Muss.

neu! – Bewertung: 9 von 10 Punkten

von Cliff Brockerhoff / https://www.instagram.com/man_of_steelbook/


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