Als der Geschichtsdozent Adam in einem Film einen Schauspieler entdeckt, der wie ein absolutes Ebenbild von ihm auszusehen scheint, lässt ihn dieser Gedanke nicht mehr los. Was mit einer Faszination beginnt, gipfelt in einer Besessenheit, die Adam nur allzu gerne nutzt, um seinem trostlosen Dasein zu entkommen. Je tiefer er in das Leben des Schauspielers eintaucht, umso mehr verschwimmen die Grenzen beider Welten.

„Enemy“ hat eine Laufzeit von 90 Minuten und ist das englischsprachige Debut des kanadischen Regisseurs Denis Villeneuve, der zuletzt mit Blockbustern wie „Arrival“ und „Blade Runner 2049“ für Aufsehen sorgte. Der Film, in dem Jake Gyllenhaal eine Doppelrolle übernimmt, ist die Verfilmung eines spanischen Romans und feierte seine Premiere 2013 im Rahmen des Toronto Film Festivals. Im Mai 2014 erfolgte die europaweite Veröffentlichung.

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Das Villeneuve in der Lage ist, fantastische Filme zu drehen, hat er mit den oben erwähnten Werken unter Beweis gestellt. Was der Kanadier mit „Enemy“ bereits am Anfang seiner Vita erschaffen hat, kann dennoch getrost als sein bisheriges Meisterstück bezeichnet werden. Der Film strahlt über die gesamte Spielzeit eine dermaßen bedrohliche und unangenehme Atmosphäre aus, dass dieser nur schwerlich entgangen werden kann. Egal aus welcher Sichtweise man dieses Werk betrachtet: es ist makellos.

Visuell bedient sich Villeneuve einer sehr speziellen Herangehensweise. Der gesamte Film ist in einen gelblich matten Filter getaucht und strotzt nur so vor Tristesse. Das Stadtbild von Toronto wird immer wieder in weit ausladenden Aufnahmen in Szene gesetzt und bildet einen Kontrast zur Eintönigkeit der Farbwahl. Durch die Variation beider Extreme bietet der Film, trotz des ruhigen Erzähltempos, ein hohes Maß an Abwechslung. Wenn Villeneuve dann auch noch anfängt, mit Symbolen und zweideutigen Darstellungen zu experimentieren, entsteht ein faszinierendes Konglomerat aus Spielfilm und Kunst, das ein hohes Maß an Aufmerksamkeit einfordert.

Ebenso wie der Zuschauer war auch Gyllenhaal beim Dreh des Films gefordert. Auch wenn sich weitere Darsteller im erweiterten Cast befinden, steht er in seiner Doppelrolle klar im Fokus und hat eine sehr hohe Screentime. Egal, welche Emotion Adam (oder auch Anthony, sein Abbild) zeigt, Jake Gyllenhaal ist immer Herr der Lage und beweist einmal mehr, dass er zur Speerspitze der männlichen Hollywood-Schauspieler gehört. Insbesondere gegen Ende, als Adam dem Wahnsinn nahe zu sein scheint, zeigt sich die Klasse des US-Amerikaners. Auch die ihm zur Seite gestellten Nebendarsteller spielen fehlerfrei.

Die Akustik und der Soundtrack stehen klar im Schatten der visuellen Bildgewalt und des Schauspiels des Protagonisten. Es werden zwar immer wieder prägnante Klangteppiche eingestreut, allerdings unterstützen diese lediglich die vorhandene Stimmungslage und drängen sich niemals in den Vordergrund. Einzig eine immer wiederkehrende Melodie lenkt die Aufmerksamkeit auf sich, und bleibt auch im Nachgang im Gedächtnis.

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Fazit: „Enemy“ benötigt definitiv mehrere Durchläufe, um vollends entschlüsselt werden zu können. Anders als bei anderen Werken, die nach Kenntnis der Auflösung bei erneuten Sichtungen deutlich an Spannung verlieren, macht „Enemy“ ab diesem Zeitpunkt erst so richtig Freude, da viele Details anfangs verborgen bleiben. Der Film bietet Freiraum für Interpretation, und spätestens, wenn die allerletzte Szene den Zuschauer paralysiert zurücklässt, muss klar konstatiert werden, dass Villeneuve ein Visionär und einer der Filmemacher der Zukunft ist.

von Cliff Brockerhoff

Bewertung: 10 von 10 Punkten