„In den Gängen“, der neue Spielfilm von Thomas Stuber („Teenage Angst“, 2008) mit Franz Rogowski („Transit“, 2018) und Sandra Hüller („Toni Erdmann“, 2016), startet am 25. Mai in den österreichischen Kinos. Nachdem der Film Vorschusslorbeeren beim deutschen Filmpreis (Bester Hauptdarsteller für Rogowski) und der Berlinale erhalten hat, haben auch wir uns ein Bild machen dürfen.

Der Film begleitet das Leben – oder eher den Alltag – des schweigsamen Christian (Rogowski). Die Geschichte beginnt damit, dass Christian in seiner neuen Arbeit, einem Großmarkt, einen Rundgang machen muss, und zu seiner ersten Arbeitsstelle unter Chef Bruno (Peter Kurth „Herbert“, 2015) eingeteilt wird: Paletten bewegen und Regale schlichten in der Getränkeabteilung ist angesagt. Gleich die erste Herausforderung gemeistert, gewinnt Christian Brunos Respekt, und so entwickelt sich sehr schnell eine kollegiale Freundschaft zwischen beiden. Im Laufe der Tage lernt Christian auch Marion (Hüller) kennen. Zunächst noch distanziert, beginnen sich die beiden anzunähern.

IN DEN GÄNGEN

Mehr muss zum Plot nicht erzählt werden, denn der Film schafft es, aus so einem kleinen, intimen Setup eine große Geschichte zu zaubern. Die Länge von 120 Minuten wird dabei größtenteils, bis auf kleinere Hänger, gut genutzt. Immer wieder eingeschnittene kleinere Montagen vom Beginn des Arbeitstages (der eigentlich eine „Arbeitsnacht“ ist) geben der ansonsten ruhigen Geschichte eine Struktur. Regisseur Stuber hat wieder mit Kameramann Peter Matjasko, wie bei „Teenage Angst“ und „Herbert“, zusammengearbeitet. Mit Gefühl für ihr Handwerk zaubern beide hypnotisierende Aufnahmen auf die Leinwand. Die Gänge, die Regale, die Tristesse des Großmarktes und die Staplerfahrten werden gekonnt inszeniert und entwickeln eine Schönheit, die man hier eigentlich nicht erwarten würde.

Für die Angestellten des Marktes finden die kleinen, freudigen Ereignisse nicht nur in den Gängen, sondern auch in kurzen Momenten der Ruhe statt. Der Kaffeeautomat wird zum wichtigen Treffpunkt, um Beziehungen aufzubauen. Die „Kippe“ (die einen Eintrag in den Credits verdient hätte) im Hinterhof des Marktes schafft Raum und Zeit, um persönliches auszutauschen. „Sibirien“, die Tiefkühlabteilung, bietet Privatsphäre. Der Großmarkt wird im Film in seine Einzelteile zerlegt und aus der Sicht der Protagonisten – für den Zuschauer – neu zusammengesetzt.

Der Trailer und die Plakate lassen den Anschein entstehen, dass „In den Gängen“ ein Liebesfilm in unüblichem Setting sei, was eigentlich nicht unbedingt der Fall ist. Zwar knistert es zwischen Christian und Marion, allerdings spielt dieses Verhältnis zwar für Christian eine große Rolle, für uns Zuseher ist es jedoch nur ein Aspekt von vielen. Die Beziehung zu Bruno, das Umfeld Christians und auch das allgemeine Klima in der Firma werden ebenso breit thematisiert.

Auch die anfänglichen Schwierigkeiten, die ein neuer Job so mit sich bringt, nehmen einen großen Teil des Films in Anspruch. Stuber schafft es, zusammen mit seinen tollen Schauspielern, die Ängste und Unsicherheiten, die man entwickelt kann, wenn es beispielsweise darum geht, Staplerfahren zu lernen, einzufangen. Dabei wird dennoch nichts überdramatisiert. Alles wirkt sehr bodenständig und eben auch glaubhaft.

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Des weiteren ist anzumerken, dass der gesamte Cast durch die Bank brilliert. Rogowski mimt den zurückhaltenden jungen Mann, der in eine bessere Zukunft starten will; Hüller die selbstsicher wirkende „Süßwaren-Marion“. Kurth den alteingesessenen, mürrischen aber geerdeten Archetypen eines Staplerfahrers. Auch alle anderen Schauspieler fügen sich großartig in die Geschichte ein. Sie schaffen es, das Klima in dieser Arbeitswelt so darzustellen, dass es wirklich glaubhaft und greifbar ist. Zwar sind sie nach anfänglichen Bedenken alle herzlich zueinander, dennoch spürt man Hemmungen. Hemmungen, da kaum jemand von ihnen wirklich glücklich oder zufrieden mit seinem oder ihrem Leben ist. Alle haben ihre Probleme, die sie mit in ihre Arbeit nehmen, aber nicht kommunizieren können oder wollen. Das verleiht dem Film auch immer wieder zwar witzige und unterhaltsame Momente, denen aber dennoch eine bittere Tragik innewohnt.

Fazit:
„In den Gängen“ ist ein schönes Stück Kino, dass sich auch traut, aus der Komfortzone eines Liebesfilms herauszutreten. Technisch ist der Film einwandfrei. Die Musik, die dem Leben im Markt einen Rhythmus verleiht, erschafft zusammen mit der Kamera einzigartige Eindrücke. Die Geschichte bewegt sich nicht oft außerhalb der Arbeitswelt und gewährt so Einblicke in einen Mikrokosmos, die man als Nicht-Arbeiter so nicht erleben könnte. Die Spiellänge hätte wohl noch ein wenig reduziert werden können, dennoch lohnt sich der Besuch im Kino. Hier werden Menschengruppen, die sonst im Kino oft übergangen werden, mit einer bedachten Einfühlsamkeit repräsentiert. Der Blick in andere Lebenswelten ist etwas, das Kino und Film immer schon gut beherrschen, und „In den Gängen“ liefert ein hervorragendes Beispiel dafür ab.

von Valerian Happenhofer / Film plus Kritik

Bilder: Polyfilm