Kuturpessimisten (zu denen ich mich zeitweise auch zähle) warnen vor dem Verlust des „Kulturguts Kino“, während hippe Net-fixer und -flixer (meist im Netz, natürlich) lauthals posten: Das Kino ist tot! Alte Kinofans beklagen die verkommenden Manieren des „Multiplex-Pöbels“, während wieder andere wohl wirklich vergessen haben, was „Kino“ eigentlich ist, und dass Film – auch – eine Kunstform ist: Wie nicht zum ersten Mal in seiner Geschichte steht das Medium Kino an einer Zeitenwende, die Herausforderer heißen diesmal nicht Fernsehen, VHS oder DVD, sondern Internet und Streamingdienste.

Wie soll man als Kinoverehrer, als Cinephiler und Cineast der alten Schule damit umgehen? Sind die Unkenrufe berechtigt, hat das Kino seinen Zenit tatsächlich überschritten, sind Streamingdienste die Zukunft? Tatsache ist, dass aus Streaminganbietern wie Netflix und Amazon inzwischen multinationale Konzerne geworden sind, und damit auch „Big Player“ im Filmbusiness, mit eigenen Produktionsdepartments und eigenen Filmproduktionen. Und, vor allem: Player, die tatsächlich beachtliche Filmwerke hervorbringen. Netflix und Co. bieten – mitunter auch Filmemachern wie Martin Scorsese, die wohl kaum einen Niedergang der Kinokultur befürworten können – künstlerische Freiheiten, wie sie viele große Studios nicht (mehr) bieten können. Die verlegen sich immer mehr auf die Produktion sicher kalkulierbarer Kassenschlager, die meist nur mäßig kreativ sind. Superheldenfilme sind das neue Mainstream-Kino, die neue Massenunterhaltung, das, was in den 30ern, 40ern und 50ern der amerikanische Western war.

Die Kinobesucher splitten sich zunehmend in 2 Gruppen: Die, die U-Kultur suchen, Unterhaltung nebst Popcorn und Cola (und zeitweise angedrehten Smartphones), die, die vornehmlich in den Kino-Multiplexen zu finden sind, und für die Kino und Film vor Allem Zerstreuung und Spaß bedeuten, eine kurze Abwechslung von Smartphone, Internet, Apps und Social Media. Die andere Gruppe sieht in Kino und Film „die wichtigste Kunstgattung seit 1895“ (Peter Kubelka), etwas, das Zeit und Hingabe erfordert, intellektuell oder emotional stimulieren und einen „Beitrag zur besseren Welt“ (oder zumindest zum persönlichen Leben) leisten soll. Sie findet mal vor Allem in den kleinen Programmkinos, Independent-Kinos und auf Film-Festivals. Und die Gruppe derer scheint zu wachsen: Manche in der Filmbranche sprechen gar davon, dass sich das Kino als Kulturtechnik immer mehr „elitarisieren“ wird, sich in Richtung „Hochkultur“ entwickeln könnte, und in einigen Jahren nur mehr für „Eingeweihte“ von Interesse sein wird, während die „breite Masse“ zu Hause streamt. Diese Sichtweise lässt aber die eben beschriebene, erste Gruppe außer Acht, die im Kinobesuch auch einen Event-Charakter sieht – eben einen anderen wie die zweite. Und auch die Gruppe 2, wenngleich sie Kino als Kunstform sieht und hochhält, dürfte wohl einige Netflixer unter sich haben. Es wird also nicht so heiß gegessen, wie gekocht.

Die wichtigere, interessantere Frage ist ja ohnehin: Was ist Streaming? Was Kino ist, war, sein kann und mitunter sein wird, darüber haben sich bereits viele kluge Köpfe den Kopf zerbrochen. Was aber „Streaming“ ist, und für die Filmkunst und die Aneignung derselben bedeutet, diese Frage ist weiterhin offen. Ich vertrete den Standpunkt, dass Streaming nicht per se „böse“ ist, aber einfach offensichtlich ein anderes Medium als Film (als VHS, als DVD, als BluRay) ist, und anders genutzt wird.

Solange es nur das Kino gab, um Filme zu sehen, war damit ein Ortswechsel verbunden, der Zwang, sein Zuhause zu verlassen, und sich 2 Stunden einem Werk auszusetzen – für das man bezahlt hatte -, der soziale Faktor (alleine unter vielen ein Kunstwerk betrachten, eine gemeinsame Erfahrung teilen) bedeutend, der Zwang zur Konzentration und Kontemplation. Schon VHS und DVD (ja, schon Fernsehen, wenn auch in geringerem Ausmaß) weichten diesen „Zwang zur Hingabe“ auf: Jeder konnte beliebig auf „Stopp“ drücken, die DVD wechseln, vor- und zurückspielen. Zumindest aber war damit noch der Akt der „materiellen Aneignung“ verbunden: Man musste das Haus verlassen, um als Jäger und Sammler von filmischen Schätzen nicht unerhebliche Mühen auf sich zu nehmen, neue Exemplare zu erstehen, mit dem Resultat, schlussendlich seine Beute wortwörtlich „in der Hand“ zu haben, physisch zu besitzen. Beim Streamen fällt all das weg, eben auch die mitunter inspirierende Mühe (und das anschließende Gefühl der Belohnung und „Befriedigung“), sich selbst neues zu erschließen, neues zu entdecken, zu suchen und zu finden. Die Vorschläge kommen inzwischen von (undurchsichtigen) Algorithmen, auf Streamingplattformen ist jederzeit alles und zur Flatrate verfügbar, jeder Film kann zudem jederzeit gestoppt, unterbrochen, abgebrochen werden. Dass diese neue Kulturtechnik einer wertschätzenden Haltung dem „Medium Film“ gegenüber, dem Films als künstlerisches Werk, dem Regisseur und Filmemacher als Künstler und Autor nicht unbedingt zuträglich ist, sollte klar sein.

von Christian Klosz