Ab morgen startet Hans Weingartners Road-Movie „303“ in den heimischen Kinos. Der Film mit einer stolzen Laufzeit von 145 Minuten schickt seine beiden Protagonisten auf einen Wohnmobil-Trip durch halb Europa, auf dem die Kulturgeschichte des ganzen Abendlandes verhandelt wird, bevor man sich – no-na – ineinander verliebt. Ein „Anti-Tinder-Film“, so Weingartner, der das darstellen soll, was reale menschliche Beziehungen so wertvoll macht: Intimität, Ungezwungenheit, Spontanität, Offenheit, Emotion, aber auch Konflikt, und natürlich Liebe und Zuneigung. Das gelingt zeitweise durchaus gut, doch würde sich „303“ nicht für alles so viel Zeit lassen, wäre aus einem guten ein großartiger Film geworden.

303+AlamodeFilm+04

Jule (Mala Emde) hat eben ihre Biologie-Abschlussprüfung verhaut, Jan (Anton Spieker) bekommt das angestrebte Stipendium für sein Politikwissenschafts-Studium, das er dringend benötigen würde, doch nicht. Frustriert machen sich beide auf den Weg, die eine im Wohnmobil von Berlin aus Richtung Portugal, wo ihr Freund in einer Kommune lebt, der andere nach Köln, um in den Bus nach Spanien zu steigen, um da seinen leiblichen Vater kennen zu lernen. Durch Zufall landet Jan bei Jule im Bus (er verpasst seine Mitfahrgelegenheit, sie liest ihn am Rastplatz auf). Nach kurzen ersten Konflikten rauft man sich schließlich doch zusammen, und beginnt über Gott und die Welt zu philosophieren, während draußen schöne europäische Landschaften vorbeiziehen: Notwendigkeit und Übel des Kapitalismus, Schwierigkeiten menschlicher Beziehungen, Sex und Leidenschaft, oder gar die gesamte Evolution werden diskutiert, bevor man sich schrittweise näher kommt…

Die Probleme in Weingartners Film offenbaren sich erst spät: Die erste Hälfte von „303“ ist wahrlich unterhaltsam, die interessanten Gespräche ziehen temporeich an einem vorbei wie die Berge und Wiesen an Jule & Jans Wohnmobil. Doch ab da, wo klar wird, dass sie am Ende wohl ein Paar werden (oder zumindest „in der Kiste“ landen), zelebriert der Film diese „körperliche Annäherungsphase“ über Gebühr.

Weingartner, der in Deutschland lebende Vorarlberger, der in Wien studierte, meinte bei der Premiere, der „Rückkehr in die Heimat“, was ihn an Wien so reize, wäre das Barocke, der „extra Schlagobers“ auf der Melange, die Verschnörkelungen und Windungen in Leben, Kultur und Kommunikation, kurz: Das Zelebrieren des Sinnlosen, Ineffizienten, absichtslos Schönen. In „303“ hätte es nun ruhig etwas weniger davon sein können. Denn wo die Gespräche anfangs noch wirklich unterhaltsam und interessant wirken, drehen sie sich nach 60, 70 Minuten zunehmend im Kreis („Wie ist das nun wirklich mit dem Sex?“). Und das ewige Hinauszögern des unumgänglichen ersten Kusses wirkt eher ermattend bis ansatzweise kitschig.

303+AlamodeFilm+09

Dennoch ist „303“ kein schlechter Film: Vieles funktioniert hier sehr gut. Zum Beispiel das Zusammenspiel der beiden Jungschauspieler Mara Emde und Anton Spieker, die ihre Sache durchwegs großartig machen. Die Chemie stimmt von der ersten Sekunde an, die Sympathie nimmt man ihnen jederzeit ab, und die Gespräche wirken allesamt authentisch. Gelungen ist auch die Musikuntermalung, die kurz angespielten Pop-Songs, die in den Momenten zwischen den ausufernden Dialogen die schönen Landschaftsaufnahmen unterlegen, und so für eine angenehme Atmosphäre sorgen. Und, wie bereits erwähnt, die erste Hälfte des Films, die tatsächlich zum Besten zählt, was bisher heuer im Kino zu sehen war.

Leider kann Hälfte zwei mit Hälfte eins nicht mithalten, etwas zu ausufernd ist die Inszenierung. Eine Straffung hätte hier nicht geschadet. Hinlänglich, ob nun Absicht oder nicht, die überlange Laufzeit tut dem Film nicht gut. Dennoch kann man „303“ durchaus empfehlen, er enthält trotz der erwähnten Schwächen genügend schöne, berührende und unterhaltsame Momente. An sein Vorbild „Before Sunrise“ (Laufzeit 97 Minuten!) kommt er aber nicht heran. Zweieinhalb Stunden Dialog zwischen zwei Menschen ist am Ende doch etwas zu viel des Guten. Zu viel „extra Obers“, um bei Weingartners Diktion zu bleiben.

Bewertung:

7 von 10 Punkten

von Christian Klosz

Wir konnten „303“ bei der Österreich-Premiere am 16.7. im Filmcasino in Wien sehen. Der Film startet regulär am 20.7. bei uns im Kino.

Bildrechte: ©Alamode Film