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Filmothek: 27. „Eyes Wide Shut“ (1999) – Kritik

Als seine Frau Alice ihm im Zuge eines Disputs eine einstige Fantasie eines Seitensprungs eröffnet, nagt dies sehr an Bill Harford. Von Ängsten geplagt und von der Eifersucht zerfressen, begibt sich der treusorgende Ehemann und Vater auf eine lustvolle Odyssee. Diese bringt nicht nur seine Beziehung gehörig ins Wanken, sondern gewährt ihm einen Blick in geheimnisvolle Machenschaften einer ihm bis dato unzugänglichen Gesellschaft.

„Eyes wide shut“ ist der letzte vollendete Film von Starregisseur Stanley Kubrick und basiert auf der 1925 publizierten „Traumnovelle“ des österreichischen Dramatikers Arthur Schnitzler. Die filmische Umsetzung wurde im Juli 1999 in den USA veröffentlicht und feierte rund zwei Monate später auf den Filmfestspielen in Venedig seine Europapremiere.

Entgegen seiner vorangegangen Visionen einer Verfilmung im historischen oder gar ironisch-komödiantischen Stil entschied sich Kubrick letztlich für eine ernsthafte Herangehensweise, die nur selten dem Humoristischen verfällt und größtenteils einen sehr nüchternen und sterilen Blick in das Beziehungsleben von Alice und Bill Harford wagt. Anders als bei Beziehungsdramen mit vergleichbaren Eckpfeilern fokussiert Kubrick sich weniger auf das Miteinander der Akteure und seziert stattdessen die Gedanken und Gefühle im Einzelnen, insbesondere die von Bill, der nach dem Geständnis seiner Frau die Bilder im Kopf nicht mehr loswerden kann und nach einer Kompensation sucht.

Verkörpert werden die Hauptakteure von Nicole Kidman und Tom Cruise, die ihrerseits während der Dreharbeiten tatsächlich verheiratet waren. Ein bewusster Schachzug des Perfektionisten Kubrick, der so, zusätzlich zum schauspielerischen Talent der beiden, bereits eine Grundintimität gewährleisten konnte, welche dem Film besonders am Anfang anzumerken ist. Speziell eine Szene, in der Alice ihrem Mann ihr Geheimnis gesteht, gehört durch seine Emotionalität und der damit einhergehenden Glaubwürdigkeit zu den besten Momenten des Films und womöglich auch zu den besten Leistungen, die Cruise und Kidman je auf die Leinwand gebracht haben.

Als Meister seines Metiers hat Kubrick aber nicht nur die Auswahl seiner Charaktere genau durchdacht, sondern wartet auch in seinem letzten Werk mit einer Vielzahl von Finessen auf, die das Erzählte visuell und besonders akustisch gekonnt in Szene setzen. Prägnante Farbgebungen, dezente Lichtquellen und der wiederkehrende Einsatz von eindringlichen Musikstücken sorgen immer wieder für intensive Momente, die den Film durch seine monumentale Laufzeit von über 2 ½ Stunden transportieren, ohne dass er während dieser an Faszination einbüßen würde. Vor allem die Verwendung eines rückwärts abgespielten rumänischen Mönchgesangs sorgt für unfassbare Gänsehaut und lässt jeden Horrorsoundtrack blass aussehen. Generell entbehrt das Werk nicht einem gewissen Quantum Düsternis. Die angeschnittenen (aber nie offen kommunizierten) Themen widmen sich anonymisierten Gesellschaften, die durch ihre Macht die Gesetze der Moral außer Kraft setzen und fernab der Augen des Großteils der Menschheit agieren. Auch wenn es sich um eine nahezu exakte Adaption der Vorlage handelt, vermuten nicht wenige hier einen Fingerzeig Kubricks, der kurz nach der ersten inoffiziellen Vorführung (und 666 Tage vor dem Beginn des Jahres 2001) einem bis dato unbekannten Herzleiden erlag.

Fazit: „Eyes wide shut“ bietet dem Zuschauer, der sich aufmerksam auf Stanley Kubricks letzte Reise begibt, einen hochinteressanten und künstlerischen Blick in das Seelenleben eines Paares, dass seine Augen fest vor der Realität und seinen Problemen verschlossen hat und fortan ganz individuell mit ihnen umzugehen versucht. Abseits der gängigen Herangehensweise versucht der Film nicht, die Auseinandersetzung der Liebenden zu porträtieren, sondern arbeitet die unterschiedlichen Facetten heraus, die das Individuum Mensch definieren. Erotisch, düster und doch nicht ohne jede Hoffnung; „Eyes wide shut“ fesselt den Zuschauer von der ersten Sekunde und ist deutlich mehr als „eine Geschichte über sexuelle Eifersucht und Obsession“, als die das Werk einst angekündigt wurde.

von Cliff Brockerhoff

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