Ungewöhnliche Filme erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Dementsprechend startet diese Rezension nicht mit der altbewährten Handlungszusammenfassung, sondern mit einem (übersetzten) Zitat: „Er ist ein Irrer. Er leidet an sechs Geisteskrankheiten. Er ist Alkoholiker. Er ist drogenabhängig. Aber er ist noch etwas: Er ist ein verdammt lustiger Mensch.“ Diese Worte richtete ein langjähriger Freund und Wegbegleiter Lars von Triers vor der Vorstellung dessen neuen Werkes „The house that Jack built“ an das Publikum, und gab damit schon einen kleinen Ausblick auf das, was sich in den nächsten zweieinhalb Stunden auf der großen Leinwand abspielen würde.

Der Film, der bei seiner Premiere in Cannes mehr als 100 Leute zu einem vorzeitigen Verlassen der Vorführung samt zeitnahem Shitstorm in den sozialen Medien bewegte, erzählt die Geschichte von Jack, einem Ingenieur, der lieber ein Architekt wäre. Dementsprechend logisch klingt zuerst einmal der Titel, auch wenn dieser vorrangig eine Anspielung auf ein in zwölf Versblöcke unterteiltes Kinderlied darstellt. Dass der Film per se alles andere als kindertauglich ist, verwundert angesichts des bisherigen Portfolios des Regisseurs aber nur bedingt.

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Ebenso gespalten wie die Meinungen über ebenjene Werke des Dänen ist auch die Persönlichkeit des Protagonisten seiner neuesten Arbeit. Auf der einen Seite hochintelligent, redegewandt und charmant, wandelt er sich innerhalb kürzester Zeit zum skrupellosen Serienmörder, der Empathie nur vom Hörensagen kennt, dafür aber mit einer ausgewachsenen Zwangsneurose ausgestattet ist. So entsteht gerade in der ersten Hälfte des Filmes eine fast schon beängstigende Leichtigkeit, die sogar in der Lage ist, Sekunden nach einer brutalen Mordszene für Gelächter zu sorgen. Pausenlos schwankend zwischen Genie und Wahnsinn meuchelt sich Jack durch die USA der 1970er Jahre und berichtet von seiner Geschichte, die sich über zwölf Jahre erstreckt und dem Zuschauer anhand von fünf zufällig ausgewählten Vorfällen dargeboten wird.

Besonders auffällig ist, dass aber nicht alleine die Morde im Vordergrund stehen, sondern immer wieder Brücken zu tiefgründigen Themen wie Liebe, Selbstzweifel oder Religion geschlagen werden und Von Trier ausgiebig über das Verhältnis zwischen Kunst und Gewalt sinniert. Es wirkt beinahe so, als wolle er erklären, warum er seine (neueren) Werke so inszeniert, wie er es eben tut. Das sich im Fortlauf diverse Gemeinsamkeiten zwischen Jack und Lars von Trier selbst auftun, ist dabei weniger Zufall als pure Absicht. Spätestens wenn Jack von der seiner Meinung nach fehlenden Wertschätzung von Diktatoren und Massenmördern berichtet und so Erinnerungen an den Eklat um Von Trier bei den Filmfestspielen in Cannes 2011 wachwerden lässt, wird klar, dass er als Alter Ego des Dänen fungiert. Die eingebauten Szenen aus „Melancholia“ und „Antichrist“ hätte es für diese Erkenntnis schon nicht mehr gebraucht.

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Wer nun befürchtet, dass die zweieinhalb Stunden zu einer einzigen biografischen Selbstbeweihräucherung verkommen, kann an dieser Stelle beruhigt werden. „The house that Jack built“ ist all das, was die negativen Stimmen verlauten ließen. Brutal, moralisch verwerflich, in höchstem Maße frauenfeindlich, bitterböse, qualvoll, verstörend; all diese Charakteristiken treffen vollends zu. Gleichzeitig ist das Werk aber auch brutal unterhaltsam und bietet trotz seiner Lauflänge eine fesselnde Erzählung, die zwar oft prätentiös wirkt, derweil aber auch genügend interessante Aspekte einfließen lässt um die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten. Am Ende baut Jack sogar tatsächlich ein Haus. Ob dort jemand einziehen möchte bleibt strittig.

Technisch bewegt sich der Film dabei durchgehend auf einem guten Niveau. Groß aufgezogene und epische Einstellungen bleiben aus, dafür setzt Von Trier auf verwackelte Handkamerabilder für das „Mittendrin“-Gefühl, das in manchen Szenen zur puren Folter mutiert. Der kleine Cast überzeugt durch die Bank und bietet, neben einer grandios nervigen Uma Thurman, vor allem einen Matt Dillon in überragender Form. Die Verkörperung des narzisstischen und frauenverachtenden Serienmörders gelingt ihm so gut, dass es fast schon beunruhigend ist. Musikalische Untermalung erfolgt durch skurrile Videoaufnahmen eines Pianisten oder den wiederkehrenden Einsatz eines unsäglich lauten Musikstücks, welches die Zuschauer unsanft aus der Passivität reißt wenn der Plot doch einmal Gefahr läuft zu repetitiv zu werden.

Fazit:

Irgendwo zwischen Psychothriller, Drama und rabenschwarzer Komödie wirkt „The house that Jack built“ am Ende wie eine Rechtfertigung Von Triers, der versucht der breiten Masse seine eigenen Perversionen mittels künstlerisch anmutendem Schlachtfests begreiflich zu machen. Verstörend und ohne jegliche Rücksicht auf Verluste ist das Werk ein Höllentrip in die Abgründe einer gepeinigten Seele, die der Kunst alles unterordnet und ebenjenes Verständnis als Fundament für sein Erzeugnis nutzt. Wie stabil dieses Konstrukt ist, muss letztlich jeder selber entscheiden. Eines kann aber konstatiert werden: Lars von Trier zementiert seinen Status als Skandalregisseur.

Bewertung:

7 von 10 Punkten

von Cliff Brockerhoff

Bilder: © 2018 Concorde Filmverleih GmbH