Berlin im Jahre 1977 – Während das Stadtbild der Hauptstadt von Aufständen und Straßenschlachten dominiert wird und der linke Terrorismus im „Deutschen Herbst“ seinen Höhepunkt erlebt, hat die renommierte „Markos Tanzakademie“ mit anderen Problemen zu kämpfen: Eine der Tänzerinnen ist spurlos verschwunden. Ein Fall, der sogar die Polizei auf den Plan ruft. Glücklicherweise kann der freigewordene Platz schnell adäquat mit der talentierten Susie besetzt werden, die ihrerseits nach dem Ableben ihrer Mutter den weiten Weg nach Deutschland angetreten hat, um sich in der Tanzschule zu beweisen.

Anhand der Beschreibung wird eines schnell deutlich: Luca Guadagninos Interpretation des Giallo-Klassikers „Suspiria“ hat nur noch wenig mit der Originalfassung Dario Argentos gemein. Anstelle des sonnenverwöhnten Freiburg trägt sich die Handlung nun in den tristen Häuserschluchten Berlins zu, und anstatt einer hypnotisierenden Reizüberflutung wählt Guadagnino eine deutlich gesellschaftskritischere Herangehensweise. Aspekte, die Anhängern des Originals von 1977 sauer aufstoßen könnten, das Werk aber gleichzeitig, trotz seiner Handlungszeit, in die Moderne hieven und ihm einen Aktualitätsbezug verleihen.

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Aufgespalten in sechs Akte und einen Epilog erzählt der Film die Geschichte der US-Amerikanerin Susie Bannion, die einer streng gläubigen Familie entstammt und sich durch ihren Umzug nach Deutschland von den familiären Fesseln lösen und auf eigenen Füßen stehen möchte. Schnell findet die begabte Tänzerin Anschluss in der Gruppe, kommt aber nicht umhin zu bemerken, dass die Tanzakademie einige dunkle Geheimnisse zu bergen scheint. Guadagnino erzählt aber nicht bloß eine Geschichte, sondern versieht sein Werk mit zahlreichen Querverweisen und Andeutungen auf die zur damaligen Zeit herrschenden politischen Machtstrukturen und die Versuche, ebenjener Norm zu entfliehen. Unterdrückung, Emanzipation, Reinkarnation; der Italiener versucht all diese relevanten und ausladenden Themen in „Suspiria“ in Einklang mit der dargebotenen Story zu bringen und geht sogar so weit, den Zusammenhang zwischen nationalsozialistischer Ordnung und chaotischem Ausdruckstanz zu ergründen.

Ein überaus ambitioniertes Vorhaben, welches allerdings nicht zur Gänze funktioniert. Während sich das augenscheinliche Vorhaben dem Zuschauer zu schnell erschließt und das Mysterium nicht lange gewahrt werden kann, sind die Gedankengänge und Verknüpfungen des Regisseurs tendenziell zu kryptisch und sorgen so für aufkommende Verwirrung. Ein Aspekt, der nicht zwingend negativ ins Gewicht fallen muss, sich ob der fehlenden finalen Auflösung und der doch sehr langen Ruhepausen des Films aber nicht als Vorteil erweist. Zwischen den wunderbar choreographierten und verstörenden Tanzeinlagen der Protagonisten vergehen oftmals etliche Minuten, bis der Plot voranschreitet. Vereinzelte Dialoge und Randgeschichten erscheinen ziellos und einige Szenen wirken so, als wolle der Film stolz seine Andersartigkeit und sein Gespür für eine virtuose Darstellung präsentieren, wisse aber selber nicht immer zwingend, worin denn nun der Nutzen dieser Inszenierung liegt.

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So planlos die Handlung an manchen Stellen wirken mag, langweilig ist sie zu keinem Zeitpunkt. Dies liegt insbesondere an einer schier übernatürlichen Leistung des Casts; allen voran Dakota Johnson, die bisher eher als naive Bettgefährtin und Identifikationsfigur unerfüllter Hausfrauen in Erscheinung getreten war, in „Suspiria“ nun aber beweist, dass schauspielerisches Talent in ihr schlummert. Wenn Johnson mit ihrem feuerroten Haar gedankenabwesend die wildesten Verrenkungen auf das Parkett zaubert, lässt sich die Sinnlichkeit der Darbietung nicht von der Hand weisen. Dem gegenüber steht beispielsweise Tilda Swinton in der Rolle der unterkühlten Ballettmeisterin Madame Blanc, die alleine aufgrund ihrer Erscheinung eine gewisse Imposanz mit sich bringt und auch in diesem Film absolut überzeugen kann.

Unterstützt wird die schauspielerische Finesse durch eine charakterorientierte Kameraarbeit, selten hektischen Kamerafahrten und vermehrt eingestreuten Nahaufnahmen von Gestik und Mimik des Casts. Die Farbpalette weist größtenteils dezente Töne auf und erinnert nur im allerletzten Akt, in dem Guadagnino nochmal all seinen Fantasien freien Lauf lässt und den roten Farbtopf öffnet, an das Original von Großmeister Argento. Die Effekte sind insgesamt technisch versiert und gut anzusehen, können aber zu selten wirklichen Grusel oder gar den Ekel hervorrufen, der im vorauseilenden Ruf des Film so hoch angepriesen wurde.

Fazit:

„Suspiria“ ist ein Wahnsinn in sechs Akten, der trotz seiner enormen Lauflänge von 152 Minuten eine durchgehende Faszination ausströmt, es aber zu selten schafft, den Betrachter vollkommen in seinen Bann zu ziehen. Vieles bleibt Stückwerk, wirkt auf seine Art hölzern und harmonisiert so nur eingeschränkt mit der grazil geschmeidigen Anmut des Balletts. Dass sich durch eine weitere Sichtung viele Zusammenhänge deutlicher erschließen und so zu einer Aufwertung führen, wird an dieser Stelle aber bewusst nicht ausgeschlossen.

Bewertung:

6 von 10 Punkten

von Cliff Brockerhoff

Bilder: Polyfilm Verleih