„Green Book“ von Peter Farelly wirft einen langen Schatten voraus: Zuerst Überraschungssieger des TIIF-Publikumspreises, dann diverse Award-Nominierungen (interessanterweise meist in der „Komödien-Kategorie“, obwohl der Film zumindest ebenso und an sich mehr Drama ist), irritierende Review-Embargos und die Tatsache, dass „Dumm und Dümmer“-Macher Farelly solch einen Film gedreht hat. Tut alles nichts zur Sache – „Green Book“ ist ein großartiger Film mit Herz und Verstand geworden, mit überragenden Schauspielern und einer nicht zu unterschätzenden Botschaft von Humanismus, Respekt und Freundschaft. Ab 1.2. im Kino.

Die frühen 1960-er in New York, USA: Tonya Vallelonga, genannt Tony Lip (Viggo Mortensen), verdingt sich als Türsteher im stadtbekannten Restaurant Copacabana. Er ist typischer Italo-Amerikaner, eingebunden ein ein enges Netz aus Familie und Freunden, in dem man sich gegenseitig unter die Arme greift, wenn es einmal nicht so laufen sollte, ein herzensguter Kerl, dessen oberstes Ziel es ist, seine Familie zu ernähren, der aber auch schon mal die „Fäuste“ sprechen lässt, wenn nötig.

Als das Copa wegen Umbau schließt, muss sich Tony um eine andere Stelle umsehen, er hört davon, dass ein gewisser „Doktor“ Don Shirley (Mahershala Ali) nach einem Chauffeur sucht. Beim Bewerbungsgespräch ist Tony doppelt überrascht: Shirley ist kein „echter“ Doktor, sondern Jazz Pianist – und er ist schwarz, in den 60-ern in den USA für Angehörige gehobenerer gesellschaftlicher Milieus eher die Ausnahme. Trotz anfänglicher Bedenken nimmt Tony Lip den Job an. Er soll Don Shirley bei einer mehrwöchigen Tour durch die von Rassismus geprägten Südstaaten sicher von Location zu Location bringen, die anhand des „Negro Motorist Green Book“ geplant wurde, einem Reiseführer für afroamerikanische Autofahrer, der die wenigen Unterkünfte, Restaurants und Tankstellen führt, die auch schwarze Kunden bedienen. Trotz anfänglicher Differenzen und Missverständnissen entwickelt sich zwischen dem ungleichen Duo Schritt für Schritt eine „besondere Freundschaft“, die alle Rassen- und Klassenunterschiede transzendiert.

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Tony Vallelonga (Mortensen) beim „Bewerbungsgespräch“ bei Don Shirley (Ali)

Ein großer Teil der Vorzüge von „Green Book“ lässt sich bereits an der Inhaltsangabe ablesen: Der Film erzählt eine authentische, weil wahre Geschichte über Freundschaft, über gegenseitigen Respekt und die Überwindung von Unterschieden. Tony und Don Shirley raufen sich zusammen, weil sie aufeinander angewiesen sind, entwickeln gegenseitiges Verständnis für die Lebenswelt(en) des anderen, und treten schließlich sogar füreinander ein, auch, wenn es persönliche Nachteile bringt.

Dabei trennen die beiden nicht nur „soziale“ Welten, sie sind auch mit vollkommen unterschiedlichen Temperamenten ausgestattet: Tony Lip ist ein gemütlicher Genussmensch, der nicht hinterfragt, was nicht zu ändern ist, der das tut, was nötig ist, um über die Runden zu kommen, ein Familienmensch durch und durch, der mit beiden Beinen fest im Leben steht. Vollkommen im Gegenteil dazu Don Shirley: Ein feinsinniger Intellektueller, dem alles „Gewöhnliche“ zuwider ist, der das gesamte Leben seiner Musik, seiner Kunst, unterordnet, und der deswegen oft unendlich einsam und verlassen wirkt. Doch beide können voneinander lernen und profitieren: Shirley lernt mit der Zeit von Tony, die Dinge mit einer gewissen Lockerheit zu betrachten, einmal loszulassen, und das Leben zu genießen; Tony hingegen entwickelt durch die Gespräche und Erlebnisse mit Shirley eine gesteigerte Sensibilität für Rassismus und Diskriminierung, ein Verständnis für „größere Zusammenhänge“ und einengende gesellschaftliche Strukturen.

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Das Besondere an der Geschichte von „Green Book“ ist auch, dass die beiden Hauptcharaktere schon durch ihre Grundkonstitution gängige Klischees transzendieren – und deshalb durch ihre bloße Existenz die gegenseitigen Vorurteile herausfordern. Das gilt insbesondere für die Figur des – einem gewissen Snobismus nicht abgeneigten – Don Shirley, der durch seinen Habitus, sein Auftreten das genaue Gegenteil von all dem ist, was Tony Lip sein working class-Alltagsrassismus über Schwarze lehrt. Umso bemerkenswerter, dass eben beide und die gesamte Geschichte auf wahren Begebenheiten basieren, wodurch man sich zu Phrasendrescherei a la „Das Leben schreibt doch die schönsten Geschichten“ genötigt sieht. Doch in diesem Fall stimmt es.

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Nicht vergessen werden soll hier, auf die großartigen Leistungen beider Hauptdarsteller hinzuweisen, die sich, jeder für sich, für diverse Filmpreise empfehlen. Bei Viggo Mortensen, eben 60 geworden, ist ein Oscar schon lange überfällig, und Mahershala Ali, die Entdeckung aus „Moonlight“, steht ihm um nichts nach.

Fazit:

„Green Book“ ist einer der ersten, großen Filme des Jahres: Bewegend, berührend, unterhaltsam, kurzweilig, und mit einer wichtigen Botschaft von Respekt, Humanismus und wahrer Freundschaft ausgestattet, überzeugt der Film von Peter Farelly auf ganzer Linie. Ein gutes Drehbuch, eine gekonnte Inszenierung, ein toller Soundtrack und überragende Darstellerleistungen machen den Film zu einem wahren Kinoerlebnis, das man nicht missen sollte. Ab 1.2. im Kino!

Bewertung:

10 von 10 Punkten

von Christian Klosz

Bilder: © 2019 eOne Germany