Dass sich Comic-Verfilmungen größter Beliebtheit erfreuen, dürfte niemanden, der sich im entferntesten mit dem Medium beschäftigt, noch großartig überraschen. DC’s „Aquaman“ avancierte kürzlich zum erfolgreichsten DC-Film aller Zeiten und Marvels „Infinity war“ ist einer der Kassenschlager des vergangenen Jahres. Knallbunte Effekte, coole Sprüche und eine Menge Spaß; nur einige der Markenzeichen besagter Werke. Dass es aber auch anders geht, beweist Netflix neueste Überraschung „Polar“.

Der starbesetzte Thriller basiert auf einem gleichnamigen Comic und nähert sich dem Genre von einer gänzlich anderen Seite. Statt Sprüchen hagelt es Schläge, und anstelle von Bruce Wayne sorgt Brutalität für düstere Atmosphäre. Der unter der Regie von Jonas Akerlund entstandene Film spart weder an Blutfontänen, noch an Obszönitäten. Akerlund, seines Zeichens ehemaliger Heavy Metal-Drummer, entwickelt sich immer mehr zum Tausendsassa der Regiearbeit. Werbespots für Hugo Boss gehören ebenso zum Repertoire des Schweden wie sexuell explizite Videos der Gruppe Rammstein. Selbst Lady Gaga und Madonna schwören auf die Künste des Skandinaviers und das lässt in etwa erahnen, welch bunte Mischung „Polar“ auf die Mattscheibe zaubert.

Inhaltlich erzählt der Film die Geschichte von Duncan Vizla, dem „Schwarzen Kaiser“, einem berühmt berüchtigten Meuchelmörder. Als dieser sich seiner Rente und einem damit verbundenen Scheck über acht Millionen Dollar nähert, überkommt seinen Auftraggeber der Geiz, und Vizla soll noch vor seiner Rente einen plötzlichen Tod erleiden. Dabei entsteht ein wahnwitziges Katz-und-Maus Spiel, das inhaltlich zwar keine fordernden Wendungen bereithält, über die komplette Spielzeit von knapp zwei Stunden aber durchaus zu unterhalten weiß. Stimmungstechnisch pendelt das Ganze zwischen komplettem Klamauk und todernster Nervenschlacht, wobei gerade die seriösen Passagen ironischerweise mehr Spaß machen als das alberne Geballer, das nach dem zwölften Headshot irgendwann ermüdend wird.

Damit der Zuschauer trotzdem nicht ins Land der Träume abgleitet, bietet „Polar“ neben einem tollen Soundtrack vor allem eines: Soft-Porno Action. Akerlund kennt kein Pardon und vermengt seinen explosiven Brutalitätsoverkill mit jeder Menge knisternder, und ebenso grafischer Erotik. Auch wenn einige wohl spätestens an diesem Punkt abwinken: es passt tatsächlich ins Gesamtkonzept und wirkt durch die individuelle und doch hochglanzpolierte Optik irgendwie adäquat, ja, gar stilvoll. Ebenso schön anzusehen ist auch der Rest des Films: Prachtvolle Naturaufnahmen, gut choreographierte Kampfsequenzen und spaßige Poolpartys bieten ein hohes Maß an Abwechslung, lassen aber irgendwann den Verdacht aufkeimen, dass hier eine mangelnde Substanz kaschiert werden soll.

Schauspielerisch bekommt der Zuschauer eine One-man-show von Mads Mikkelsen zu sehen, der trotz einer stimmigen Leistung des gesamten Casts, seiner Rolle angemessen, über allen thront. Die Portraitierung des unterkühlten Killers ist im auf den Leib geschnitten, sodass alle um ihn herum selbst in den neongetränkten Farbpaletten verblassen. Einzig der geniale Matt Lucas („Little Britain“) kann einigermaßen Schritt halten und überzeugt als wahnsinniger Gegenspieler von Mikkelsen, der eine Vorliebe für Folter zu schottischer Dudelsackmusik hat und nicht weniger amüsant aufspielt als in seiner Paraderolle des Andy Pipkin.

Fazit:

Wer übersättigt ist vom ständig eintönigen Marvelkonsum und einen Hang zu abgedrehter Filmkunst hat, macht mit „Polar“ nichts verkehrt. Auch wenn der Mehrwert sich auf ein Minimum beschränkt und so manche Szene die Grenzen des Erträglichen auslotet, weiß der Hybrid aus „Kick-Ass“ und „John Wick“ zu gefallen und wird ohne Zweifel stärker polarisieren als die weichgespülten Blockbuster, die sich dem interessierten Genrefan sonst so darbieten.

Bewertung:

7 von 10 Punkten

von Cliff Brockerhoff

Bilder: Netflix