Der große Stargast der diesjährigen Berlinale war Christian Bale, der mit Regisseur Adam McKay seinen neuen Film „Vice“ präsentierte. Während sich die beiden in der Pressekonferenz sympathisch, höchst kommunikativ und gut gelaunt gaben, kann ihr Film dem Zuschauer schon Magenschmerzen bereiten: Vollgepackt mit Inhalt, dicht und fordernd wie der Vorgänger „The Big Short“ entwirft er eine Art Milieustudie des US-amerikanischen Politzirkels in Washington im Dunstkreis der republikanischen Partei. Im Zentrum steht Dick Cheney, ehemaliger Vize-Präsident unter George W. Bush, gespielt von einem bis zur Unkenntlichkeit aufgedunsenen Christian Bale, der als moralfreier Opportunist gezeichnet wird, der im Schatten als „zweiter Mann“ die Fäden der Macht zieht.

Richard Cheney ist eigentlich ein Verlierer: In seinen Zwanzigern beginnt er zu trinken, sich zu schlägern, fliegt folglich von der Eliteuni Yale und verdingt sich als Monteur von Strommasten. Seine kluge und ambitionierte Ehefrau Lynne (Amy Adams) beginnt bereits zu zweifeln, ob sie sich nicht für „den Falschen“ entschieden hat, und stellt Dick die Rute ins Fenster: Zeigt er nicht bald Besserung und Karriereambitionen, ist sie weg. Dick nimmt die Worte seiner Frau ziemlich ernst, und beginnt seine Politkarriere als Praktikant im Weißen Haus unter Donald Rumsfeld (großartig: Steve Carell). Schrittweise arbeitet sich der großteils charismabefreite Mann mit Gespür für das Spiel der Macht in der Hierarchie nach oben, bis er unter Richard Nixon zum Stabschef ernannt wird. Doch der Politzirkus ist hart und (gesundheitlich) fordernd, und die Cheneys wollen sich dem Dauerstress nicht länger aussetzen und ziehen sich in den 90-ern weitgehend zurück. Doch zur Wahl 2000 sucht der unerfahrene George W. Bush einen running-mate für seine Präsidentschafts-Bewerbung, und macht Cheney ein Angebot, das dieser nicht ablehnen kann…

„Vice“ fordert, wie schon Adam McKays voriger Film „The Big Short“, vollste Aufmerksamkeit vom Zuschauer – und selbst dann ist es nicht immer einfach, dem dichten Plot zu folgen. Als Mischung zwischen schwarzhumorigem Biopic und dokumentarischer Mileu-Studie ist „Vice“ vollgepackt mir Information und will, so Regisseur McKay, erklären, wie wir bzw. die USA dorthin kommen konnten (gesellschaftlich, politisch), wo wir/sie nun sind (Trump).

Bei der Besetzung vertraut McKay einmal mehr auf Freunde und Kollegen, seinen „innersten Zirkel“, also Steve Carell, Sam Rockwell, Amy Adams und Christian Bale, die allesamt einen formidablen Ensemble-Cast abgeben. Bemerkenswert und radikal ist (erneut) der Schnitt, der auch „Vice“ von seinen älteren Komödien trennt. Die Leichtigkeit der „Anchorman“-Reihe etwa ist hinweg und weicht einer durch Sorkin-eske Dialog- und Voice-over-Feuer beschleunigten Inszenierung, einem ungemein dichten und geradezu trockenen Zugang. Das soll nicht heißen, dass zwingend Wehmut bei Fans der älteren Filme aufkommen muss, es ist einfach sehr anders, und mitunter gewöhnungsbedürftig.

Zugute halten muss man dem Regisseur, und seinem Film, dass er das behandelte Sujet wirklich ernst nimmt, und die Handlung realitätsnah darstellen möchte. Lediglich diverse Regie-Einfälle (dramaturgische Brüche durch Einschneiden an sich handlungsfremder Szenen und Bilder; ein „gefälschtes“ Ende zur Hälfte des Films) und wohl dosierte Gags lockern den ernsten Zugang etwas auf. Ebenfalls im Blick hat „Vice“ die Ambivalenzen seine Hauptfiguren, wie etwa den politischen Dilettantismus des George W. Bush, den der aber offenbar durch „instinktives Gespür“ wettmacht. Oder die Tatsache, dass Dick Cheney politisch zwar über Leichen geht, während er zu Hause (zumindest über weite Strecken) der liebende und fürsorgliche Ehemann und Vater ist, der der Familie den Vorzug gibt, der sich schützend vor seine lesbische Tochter stellt, obwohl ihre sexuelle Orientierung an sich politisch nicht „ins Konzept“ passt.

Insgesamt ein starker Film, in dem sich Regisseur McKay mit seinem semi-dokumentarischen Stil nach der Finanzwelt in „The Big Short“ diesmal den Politzirkus in Washington vornimmt, in den Hauptrollen gut besetzt und dicht an Information. Wenn man etwas kritisieren möchte, dann, dass der große Unterhaltungswert, den viele der früheren Filme McKays kennzeichnen, etwas auf der Strecke bleibt. Man kann aber davon ausgehen, dass dies durchaus Absicht ist, um noch mehr auf die Ernsthaftigkeit des behandelten Themas hinzudeuten.

Rating:

78/100

von Christian Klosz

Titelbild: © Annapurna Pictures, LLC; Beitragsbilder:
© Matt Kennedy / Annapurna Pictures, LLC