„Every black person born in America was born on Beale Street, born in the black neighborhood of some American city, whether in Jackson, Mississippi, or in Harlem, New York, Beale Street is our legacy.“ – Die besagte Straße hätte also viel zu erzählen, wenn sie sprechen könnte, unter anderem auch die Geschichte eines Liebespaares, die das Drama einer ganzen Gesellschaft abbildet.

Harlem in den 1970ern: „Tish“ und „Fonny“, beste Freunde seit Kindertagen sind frisch verliebt und die junge Frau erwartet ein Kind aus der Verbindung. Über dem jungen Glück hängen aber dunkle Wolken, denn Fonny sitzt im Gefängnis für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Der Glaube an Gerechtigkeit und eine gemeinsame Zukunft wird auf eine harte Zerreißprobe gestellt. Opfer, Polizei und Staatsanwaltschaft scheinen sich einen Sündenbock herausgepickt zu haben und um sich einen fähigen Strafverteidiger leisten zu können, müssen die werdende Mutter und ihre Familie Opfer bringen.

Die Story von „Beale Street“ gründet auf dem Erfolgsroman „If Beale Street Could Talk“ von James Baldwin, einer Galionsfigur der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, die zuletzt gut dreißig Jahre nach ihrem Ableben in der Doku „I am not your Negro“ in Erscheinung trat. An die Adaption des modernen Klassikers wagte sich Auteur Barry Jenkins, der bereits mit mit seinem Oscarmagnet „Moonlight“ Mut bewiesen hatte und nun ein Werk von ähnlicher Brisanz und Bildkraft nachsendet.

Die nonlineare Narration ist gerahmt von der Ausgangssituation des zu Unrecht Inhaftierten und den Bemühungen ihn freizukämpfen. Rückblenden erzählen die aufkeimende Liebe des Paares und schrammen für manche Geschmäcker womöglich manchmal haarscharf am Kitsch vorbei. Nach und nach geht die idyllische Vergangenheit aber in die trostlose Gegenwart über, bis sie sich schließlich ganz in dieser auflöst und Liebesschwüre nur mehr über Telefonhörer durch eine isolierende Glasscheibe tönen. Die Tragödie von Pyramus und Thisbe, der antike Sagenstoff um die Liebenden, die durch eine Wand getrennt sind, klingt nach. Doch die symbiotische Beziehung des Paares intensiviert sich durch die Krise umso mehr und erreicht trotz Berührungsverbot eine neue Dimension der Körperlichkeit. Während der Babybauch der werdenden Mutter wächst, verliert der werdende Vater in Gefangenschaft zunehmend an Gewicht. Aus dem tragischen Fundament erblüht aber ein unzerbrechlicher Hoffnungsstrang und treibt neue Zweige. Die Grausamkeit der Außenwelt wird mehr angedeutet als ausgeschlachtet, ist an den Spuren, die sie an ihren Opfern überlässt, aber nicht zu übersehen. In der Beale Street bleibt vieles unausgesprochen, unüberhörbar ist jedoch eine stimmgewaltige Anklage von strukturellem Rassismus und dem Versagen des Rechtsstaats.

Jenkins bettet seine Szenen in die warme Erdtonpalette der Seventies und lässt sie von einem soul- und symphonielastigen Score untermalen, der auch das Auswahlgremium der Academy Awards zu berühren wusste. Die Kamera traut sich hautnah an die Darsteller heran und zwingt sie immer wieder, ihr direkt ins Auge und somit dem Publikum ins Gesicht zu sehen. Die Unmittelbarkeit potenziert das Identifikationsvermögen der Charaktere und adressiert die Zuseher mit stummen Hilferufen. Doch die durchdringenden Blicke sind nur ein Bruchteil der durchwegs eindringlichen Performances, unter denen besonders Regina Kings Spiel begeistert und der Mimin eine Oscarnominierung als beste Nebendarstellerin einbrachte.

Fazit:

Liebe kennt keine Grenzen – ein Sujet, so alt wie das Erzählen selbst, das wir aus unzähligen Verarbeitungen kennen: Barry Jenkins erkennt das theatralische Potential der Literaturvorlage und inszeniert die filmische Interpretation mit der Geduld eines Bühnendramas. Das Rührstück „Love Story“ ist ein Filmklassiker der wilden Siebziger, doch mit „Beale Street“ ist verspätet, doch immer noch rechtzeitig die aufrichtigere und kraftvollere Liebesgeschichte dieses Jahrzehnts erzählt worden. Ab 8.3. im Kino.

Bewertung:

8 von 10 Punkten

von Daniel Krunz

Bilder: © Tatum Mangus Annapurna Pictures