Die Oscars 2019 sind also Geschichte. Neben unfreiwilligen und absichtlichen Änderungen (kein Moderator; spürbare Kürzung der Show), die nach kurzer Gewöhnungsphase der Zeremonie aber nicht schadeten, blieb der Abend weitgehend ereignisarm. Natürlich, die Preise für Olivia Colman oder Rami Malek waren nicht unbedingt zu erwarten, stellten aber nun auch keine Sensation dar. Der große Paukenschlag kam zum Schluss: Nicht der haushohe Favorit „Roma“ wurde als „Bester Film“ prämiert, auch nicht die Nachzügler „BlacKkKlansman“ oder „The Favourite“, sondern „Green Book“, den nun wirklich niemand auf der Rechnung gehabt hatte.

Soweit, so überraschend, soweit, so normal – möchte man meinen, denn: Brachten früher solche Überraschungen oft gern gesehene Abwechslung in öde Shows, ließ diesmal der erste Aufschrei nicht lange auf sich warten; „Green Book“, der bereits vor der Verleihung für eine behauptete unausgewogene Darstellung kritisiert worden war, bekam auf den Scheiterhäufen moderner Kommunikation, den Social-Media-Plattformen, sein Fett weg.

Was die „Green Book“-Hater neben offensichtlich inbrünstiger Streitlust und Aufmerksamkeitsdefiziten antreibt, blieb dabei meist diffus. Man kann „Green Book“ vorwerfen, zu wenig Tiefe zu zeigen, komplexe Sachverhalte zu simplifizieren oder ein ernstes Thema zu beschwingt anzugehen – dann hat man aber das Konzept des „Unterhaltungsfilms“ nicht verstanden. Was man dem Film aber nicht und auf keinen Fall vorwerfen kann, ist Rassismus – genau das aber wird gemacht, und zwar auf vernichtendste Art und Weise. Nicht nur wird den Machern Rassismus unterstellt, sondern implizit auch jenen, die den Film gut finden. Besonders abstrus ist dabei die Unterstellung, der Film verbreite eine „white saviour“-Ideologie, wobei „Green Book“ wenn, dann höchstens das genaue Gegenteil macht (eine „black saviour„-Ideologie quasi): Der schwarze Don Shirley ist es, der den leicht primitiven, weißen Tony Lip „aufklärt“, und ihm seine vorurteilsbehafteten Sichtweisen bewusst macht, der ihn dazu bringt, durch die gemeinsamen Erfahrungen seine vorgefassten Meinungen zu hinterfragen und eine persönliche Entwicklung durchzumachen; wer das anders sieht, muss wohl Tomaten auf den Augen haben.

Noch absurder und beinahe komisch ist, dem Film vorzuhalten, er würde aus weißer Sicht erzählt (lassen wir einmal beiseite, ob es so etwas wie eine weiße Sicht überhaupt gibt): No-Na, der Regisseur und die Drehbuchautoren sind weiße Männern; es wäre, als würde man umgekehrt Spike Lee vorwerfen, er würde seine Geschichten aus „schwarzer Sicht“ erzählen (was er auch, und das ganz bewusst, tut, und das ist gut so). Niemand käme auf die Idee.

Das tieferliegende Problem dieses ganzen Schauspiels: Die „Green Book“-Hasser haben offenbar nicht verstanden, was künstlerische Freiheit, überhaupt Respekt vor Kunst, bedeutet, dass logisch und selbstverständlich und gut ist, dass Geschichten aus unterschiedlicher Perspektive erzählt werden und werden sollen. Sie vertreten ein totalitäres und insofern problematisches Weltbild, als sie nur eine Sichtweise (nämlich die ihrige) zulassen und als einzig richtige anerkennen, kein Interesse an Dialog oder Diskussion haben und dergestalt eine zutiefst illiberale Haltung offenbaren.

Besonders schade bei dem ganzen Zirkus ist, dass das, worum es eigentlich gehen sollte – nämlich die Bewertung filmischer Qualität – vollkommen in den Hintergrund rückt: Man sollte darüber diskutieren, warum Rami Malek „Bester Hauptdarsteller“ wurde, und nicht Christian Bale, warum Glenn Close wieder einmal leer ausging, was die mehrfache Prämierung von Mainstream-Filmen wie „Bohemian Rhapsody“ oder „Black Panther“ für das Filmgeschäft bedeutet und so weiter. Wer aber den Skandal um jeden Preis sucht, dem ist das wohl zu banal.

von Christian Klosz


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