Die lange Erfolgsgeschichte des Martial-Arts Kinos reicht bis in die Zeit des Stummfilms zurück und spätestens seit Bruce Lees kometenhaftem Aufstieg zum Fixstern am Himmel der Popikonen begeistert sich auch ein westliches Publikum für das asiatische Kampfkunstkino. Streaminganbieter Netflix reicht eine bunte Palette an Martial-Arts Filmen, wenn auch der besagte Wegbereiter Lee stark vermisst wird. Dennoch besticht die Auswahl mit essentiellen Werkbeiträgen, von denen die fünf sehenswertesten hier vorgestellt werden möchten.

von Daniel Krunz

„Ip-Man“: Wilson Yip, 2008

Sollte es eine größere Martial-Arts Legende als Bruce Lee geben, käme für den Titel eigentlich nur der Mann in Frage, der diesem das Kämpfen lehrte, Ip-Man. 2008 schlüpfte Donnie Yen in die Rolle des honorigen Großmeisters und machte ein internationales Publikum mit der Kampfkunst Wing Chun bekannt, die er von keinem geringeren als Ip-Mans Sohn lernte. Regisseur Wilson Yip inszenierte eine (überaus fiktionale) Filmbiographie, deren Erfolg einen regelrechten Trend auslöste, der in Fankreisen mit dem Begriff „Ipsploitation“ belegt wurde.

Dem Smash-Hit folgten zwei offizielle Sequels, ein inoffizielles Prequel, drei unabhängige Ip-Man Biopics, sowie eine TV-Serie. Der Prototyp bleibt aber das innovativste Werk und verklärt die historische Person vor dem Hintergrund des zweiten Sino-Japanischen Krieges eindrucksvoll zur selbstlos-heroischen Sagengestalt. Wer mit dem für das Hong-Kong Kino nicht unüblichen Pathos und Patriotismus leben kann, wird mit revolutionären, atemberaubenden Filmfights im größeren Kontext eines emotionalen Melodrams belohnt, denn Ip-Mans Action wie auch Tragik wissen mit voller Kraft anzupacken und durchzurütteln.

„Hero“: Yimou Zhang, 2002

Und dann war da noch der andere Herr mit dem klingenden Namen Li, der sich nach einem Hochgeschwindigkeitsflugzeug benannte: Die Rede ist natürlich von Jet Li, neben Bruce Lee und Jackie Chan dritter im Bunde der bemerkenswertesten Leinwand-Kampfkünstler.

Der jüngste in diesem Triumvirat blickt mittlerweile auch schon auf eine über 30-jährige Karriere zurück, eine seiner herausragendsten Beteiligungen ist aber wohl jene im Ausnahmewerk „Hero“. Die episodisch strukturierte Erzählung entfaltet gemächlich eine intelligent verstrickte Story mit enormer Aussagekraft. Regisseur Yimou Zhang wühlt tief in den Schätzen der chinesischen Kultur und lässt ein erlesenes Ensemble zu einer cineastischen Oper aufspielen. Die A-Riege der Hong Kong Kinostars entführt in eine märchenhafte Spiegelwelt der Realität, die über ganz eigene Gesetze verfügt. Die symbolstarke poetische Rahmung verhandelt die allgegenwärtige Thematik von despotischer Willkür in einer Parabel über das Opfer eines Einzelnen für das Gemeinwohl. Ein bildgewaltiges Spektakel, das gleichermaßen mit Unterhaltungswert wie künstlerischem Anspruch besticht.

„The 36th Chamber of Shaolin“: Chi-Liang Liu, 1978

Keine Martial-Arts Film Bestenliste ist komplett ohne einen Werkbeitrag von Shaw Brothers Studios, der einst größten Filmproduktionsfirma Hong Kongs. Glücklicherweise übersieht Netflix in diesem Fall nicht die Bedeutung für das Genre und offeriert sogar eine äußerst großzügige Auswahl an Filmen aus der Shaw-Schmiede.

Die Produktionsfirma perfektionierte das Subgenre „Wuxia“, das chinesische Pendant zum Mantel und Degen-Film und prägte dabei ganz wesentlich das Bild, das auch Laien mit der Stilrichtung verbinden: Klirrende Klingen, weise, weißbärtige Meister, den Gesetzen der Physik trotzendes Battle-Ballett, Lehrlinge auf Vergeltungsfeldzug und opulente Ausstattungen. „Die 36 Kammern der Shaolin“ vereint diese Elemente in einer virtuosen Vorzeigearbeit, die von der eisernen Disziplin zeugt, die nicht nur im Shaolinkloster, sondern auch bei der Produktion an den Tag gelegt wurde. Ein oft zitierter Klassiker und popkulturelles Referenzwerk. Einziger Wermutstropfen: Auf Netflix liegt der Film nur in englischer Synchro auf und wie es um die die Qualität dieser bestellt ist, dürfte vielleicht aus zahllosen Parodien bekannt sein.

„Drunken Master“: Woo-Ping Yuen, 1978

Das Jahr 1978 wird Jackie Chan vermutlich nie vergessen. Der damalige Newcomer übernahm die Hauptrollen in gleich zwei revolutionären Produktionen, die den Grundstein für das neue Genre Kung-Fu Komödie und die Karriere des späteren Weltstars legten. „Drunken Master“ interpretiert die Jugendjahre des chinesischen Volkshelden Wong Fei Hung als Zeit des leichtsinnigen Müssiggangs, bis dessen Vater den Tunichtgut zu einem alten Meister in die Lehre schickt, der ihn in die geheime Kunst des betrunkenen Kung-Fu, einer Kampftechnik unter Alkoholeinfluss einweist.

Der vielversprechenden Prämisse wird irrwitzig Rechnung getragen, „Drunken Master“ könnte gleichsam als Gegenthese zu den „36 Kammern“ verstanden werden, der im selben Jahr debütierte. In jedem Fall aber parodiert der Film gekonnt die Konventionen des Genres, ohne den betont ernsten Werken in Beliebtheit und artistischer Finesse nachzustehen. Sympathieträger Jackie tut wie schon in „Die Schlange im Schatten des Adlers“ das, was er am besten kann und schöpft bereits zu Beginn seiner immens produktiven Schaffensphase aus dem Vollen seines akrobatischen und komödiantischen Talents.

„Fearless“: Ronny Yu, 2006

Noch einmal Li als Stimme der Geknechteten: Wem beim Studieren dieser Liste ein Trend zur Dramatisierung historischer Fakten auffiel, liegt richtig, tatsächlich ist die romantische Verklärung der chinesischen Geschichte und ihrer Akteure eines der Lieblingssujets des Hong Kong Kinos. „Fearless“ bildet da keine Ausnahme: Diesmal mimt Li den Kung Fu-Meister Huo Yuanjia, den Begründer des Jin Wu Sportverbands. Als Feindbild dürfen erneut die Besatzungsmächte herhalten, die ihre besten Kämpfer auf den Großmeister ansetzen, um die Überlegenheit gegenüber China zu demonstrieren.

Huo stellt sich furchtlos dem symbolträchtigen Wettkampf und adaptiert die Lektionen, die er über Verantwortung, Respekt und Rechtschaffenheit gelernt hat. Neben der nationalistischen sendet „Fearless“ aber auch eine versöhnliche Botschaft und proklamiert Kampfkunstphilosophie als Mittel zur Völkerverständigung. Es gilt der selbe Grundsatz wie bei „Ip-Man“: Wer sich von dem ausgiebig zelebrierten Kitsch und Nationalstolz abschrecken lässt, verpasst ein Schauspiel mit viel handwerklichem Geschick, imposanten Sets und rasanter Stuntchoreographie.