„Once upon a time there was a girl and that girl had a shadow.“ – Zwei Jahre ist es es nun her, seit Jordan Peele mit „Get Out“ sein Regiedebüt gab und die Horrorfilmlandschaft mit einem frischen Wind belebte. Dementsprechend sehnsüchtig wurde das Folgewerk herbeigewünscht und mit hohen Erwartungen belegt.

Die Wilsons verbringen ihre Ferien im sonnigen Santa Cruz, bis sich der Traumurlaub eines Nachts zum Albtraum wandelt. Eine Gruppe furchterregender Individuen, die ihre exakten Ebenbilder sind, dringen in ihr Strandhaus ein und lassen die Familie um ihre Existenz bangen. Wer die vertrauten Fremden sind und was sie wollen, ist ebenso rätselhaft wie das Kindheitstrauma, an das sich das Familienoberhaupt erinnert fühlt.

Der Doppelgängermythos ist ein klassisches Gedankenexperiment und begleitet die Gattung Horror seit seinen literarischen Ursprüngen in der Schauerromantik. Mitunter aus diesen Quellen schöpft der Auteur Peele und zitiert mit seiner Symbolsprache auch einen ganz konkreten Klassiker der fantastischen Literatur. Es ist die zeitgenössische Umkontextualisierung, die das alte Motiv auch heute noch so frisch erscheinen lässt und zur Ausgangslage eines progressiven Schreckensszenarios stilisiert. Entscheidend ist dafür das Erfolgsrezept, das schon „Get Out“ seinen Status als Ausnahmeerscheinung einräumte, nämlich die Balance zwischen Tradition und Innovation. Während besagter Film als Sozialstudie begann, die in Horror mündet, wählt „Wir“ den umgekehrten Weg und verortet sich von Anfang an klar in dem Genre. Die periodisch immer wieder populäre Spielart „Home Invasion“ gibt den Grundton an, der nach allen Regeln der Kunst ausgestaltet wird: Aufbau einer trügerischen Idylle, begleitet von ominösen Vorzeichen und unheilschwangerem Score, bis die intime Komfortzone endgültig gewaltsam durchbrochen wird. Im Zuge dieser Übung stellt Peele außerdem seine offensichtliche Affinität für die 1980er Jahre zur Schau, die sich in vielen kleineren und größeren Referenzen abzeichnet.

Die innovative Dimension des Produkts lebt wiederum ganz vom „Peele-Stil“, der mit nur einem Film zu einer Marke mit hohem Wiedererkennungswert geworden ist. Das Grauen auf der Leinwand funktioniert als raffiniert maskierte Gesellschaftskritik, als blutige Allegorie auf menschliche Vorbehalte, die von schwarzhumoriger Würze nuanciert wird. Stilistisch nun eindeutiger als Genrebeitrag identifizierbar, fällt der Interpretationsrahmen diesmal aber ungleich vage aus und lässt verschiedene Auslegungen zu. Die Ansätze dazu werden auf zahlreichen Ebenen transportiert, die eine Reihe von Fragen aufwerfen. Unverkennbar bleibt aber auch hier die Auseinandersetzung mit amerikanischen Grundhaltungen, denen ein grotesker Zerrspiegel vorgehalten wird. Wohl nicht ganz zufällig lässt sich der Originaltitel „Us“ auch als Akronym für die vereinigten Staaten lesen. Die Kontraposition zwischen dem titelgebenden „Wir“ und den „Anderen“ dient als Aufhänger zur Beschäftigung mit dem Konzept des „Othering“. Auf eine entpersonalisierte Gruppe wird nun die eigene Identität projiziert und die stumme Masse bekommt eine Stimme, die sich Gehör verschafft. Es sind solche profunden Aussagen über zwischenmenschliche Defizite, die mit brachialer Gewalt anhaltende Gänsehaut hinterlassen.

Wie es für das Bedienen narrativer Konventionen nahezu unvermeidbar ist, sind dem erfahrenen Publikum manche obligatorische Wendungen jedoch allzu geläufig. Dessen ungeachtet schafft es „Wir“ aber trotzdem, die Spannung weitgehend aufrecht zu erhalten, selbst wenn dafür vielleicht eine Idee weniger Laufzeit und Blutvergießen ausgereicht hätten. Mitverantwortlich für das Gelingen ist zu einem Großteil Hauptdarstellerin Lupita Nyong’o, die in beiden ihrer Rollen brilliert.

Die Oscarpreisträgerin weckt gleichermaßen Unbehagen wie Empathie und spielt jede Gefühlsregung von lähmender Angst bis kühner Entschlossenheit mit einer Überzeugungskraft, die auch abgebrühte Horrorfans mitzittern lässt.

Fazit:

Jordan Peeles heiß ersehntes Zweitwerk kann den hohen Erwartungen im Wesentlichen gerecht werden. Das soziale Kommentar fällt vergleichsweise deutlich subtiler aus, als es bei „Get Out“ der Fall war, was den Erstling zum womöglich zugänglicheren Film werden lässt. Als Konsequenz lädt „Wir“ aber noch stärker zum reflektieren ein und verdient damit zweifellos das Label „intelligenter Horror“.

Bewertung:

8 von 10 Punkten

von Daniel Krunz

Bilder: Universal Pictures