Schwarzbehandschuhte Serienmörder mit psychosexuellen Pathologien, stylische Sets, stimmungsvoller Score, das sind die Grundzutaten für eine italienische Spezialität, den Giallo-Film. Während ihrer Blütephase in den 70er-Jahren wuchs die abstrakte Thriller-Spielart zu einem immens produktiven Genre, bescherte Filmemachern wie Dario Argento globale Aufmerksamkeit und inspirierte mitunter den frühen Slasher – Trend. In der Kritik sorgt die Gattung bis heute für Kontroversen, Charakteristika wie konservative Geschlechterrollen oder blutrünstige Morde an bildhübschen Frauen in kompromittierenden Situationen ziehen Vorwürfe von Misogynie auf sich.

von Daniel Krunz

Yann Gonzalez‘ Giallo Hommage „Messer im Herz“ dreht den Spieß nun um und legt vornehmlich junge Adonisse unters Messer. Ort des Geschehens ist die französische LGBT-Szene der späten Siebziger und die Opfer sind Darsteller in Schwulenpornos. Anne (Vanessa Paradis), die Produzentin dieser Filme, erlebt den ersten Schicksalsschlag, als ihre Lebensgefährtin sie verlässt. Als sie vom mysteriösen Mord an einem ihrer Darsteller erfährt, beginnt für Anne eine Reise in noch dunklere Abgründe.

„Messer im Herz“ ist nicht die erste moderne Adaption der historischen Form, wagt sich mit dem Sujet aber weiter in Gefilde vor, die die wilden Siebziger nur zu streifen wagten. Gonzalez müht sich aber nicht um Revisionismus an, sondern zelebriert vielmehr die sinnlichen Erfahrungswerte, die den Giallo als Kunstform etablieren: dramatische Kamerafahrten, atmosphärisches Lichtspiel, surreale Sequenzen, avantgardistische Ausstattung. Im Zentrum des orgiastischen Reigens stehen natürlich opernhaft inszenierte, blutige Mordszenen, ausgeführt mit einer Tatwaffe, deren Phallus-Metaphorik alles andere als subtil ausfällt.

Die Produktion, die in Zusammenarbeit mit dem Kulturnetzwerk Arte entstand, beherzt das Erfolgsrezept postmoderner Hommagen und fügt die bemerkenswertesten Qualitäten des Referenzrahmens zu einem harmonischen Gesamtbild. Kennern muten die vielen, teils sehr direkten Zitate von Großwerken des Genres dabei manchmal vielleicht schon fast wie eine Best-Of Compilation seiner denkwürdigsten Momente an. Die schrille Collage von Sex and Crime, Noir und Pop Art, Kunst und Kommerz eröffnet aber unabhängig von Vorkenntnis einen erlebnishaften Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann.

Dementsprechend sollte keine sensible Auseinandersetzung mit dem zugrundeliegenden Umfeld erwartet werden. Das Sleaze-Potential der Prämisse wird unsanft ausgeschlachtet und Psychologisierungen bleiben teils naive, wenn auch wirkmächtige Andeutungen. Gonzalez schlägt seine Akteure in die Ketten ihrer Passionen, gefangen in einem frei schwebenden Raum, der von der Außenwelt unberührt bleibt.

Ebenso isoliert muss das Gesamtkunstwerk, das „Messer im Herz“ darstellt, betrachtet werden. Das Schaustück stellt in doppelter Hinsicht den Abstieg in eine geheimnisvolle Parallelwelt dar. Zum einen tauchen die Zuseher in eine zwielichtige Szene ab, die den meisten Normalsterblichen fremd und abenteuerlich erscheint. Doch auch der gesamte abgebildete Kosmos ist nur ein Zerrbild unserer Realität, das surrealer Traumlogik und den Gesetzen des Zufalls unterlegen ist. Hier ist kein Platz für nüchtern reflektierte Milieustudien, oder authentische kriminalpsychologische Gutachten, denn das Werk fungiert als expressionistisches Medium für die Darstellung von Leid und Leidenschaft.

Wer keine Berührungsängste mit den Sujets hegt und sich auf diesen Neo(n)-Giallo einlassen kann, erlebt eine sinnliche Achterbahnfahrt durch einen dunkelbunten Untergrund, geprägt von Sex, Drugs und Synthesizer-Sounds. Genre-Enthusiasten werden Zeuge eines ehrfürchtigen Tributzolls und aufgeschlossene Cineasten erhalten eine passioniert formulierte Einladung, unbekannte Filmwelten zu erforschen. Kunstvoller Kitsch mit viel Gespür für seine Inspirationsquellen.

Rating:

86/100