Manche Menschen können Berge versetzen. Und das wortwörtlich: Nikolaus Geyrhalters neuer Dokumentarfilm mit dem doppelsinnigen Titel „Erde“ stellt den geologischen Faktor der Erde in den Fokus. 115 Minuten lang werden Minen, Steinbrüche, Großbaustellen an verschiedenen Orten der Welt gezeigt, an denen der Mensch tagtäglich die Erde im buchstäblichem Sinn bewegt und somit die Oberfläche der Erdkugel maßgeblich verändert. Der bereits im Forum der 69. Berlinale preisgekrönte Film lief unter anderem im Rahmen der diesjährigen Diagonale und startet regulär am 17.5. auf den heimischen Kinoleinwänden.

von Elli Leeb

Tag für Tag werden durch natürliche Kräfte in etwa 60 Millionen Tonnen Oberflächenmaterial bewegt. Der Mensch bewegt tagtäglich mehr als doppelt so viel, so die Studie, auf die sich der Film anfangs stützt. Damit stellt der Mensch heutzutage den entscheidenden geologischen Faktor dar.

Auf insgesamt sieben Schauplätzen in Europa und Nordamerika – deren Auswahl sich aufgrund von Drehgenehmigungen ergeben hat – werden in „Erde“ unverblümt aufrichtige Gespräche mit ArbeiterInnen, IngeneurInnen und auch WissenschaftlerInnen gezeigt, die allesamt sehr reflektiert über ihre Arbeitssituation sprechen.

Den verschiedensten Personen auf den Riesenbaustellen dieser Welt, die die Oberflächenstruktur der Erde fundamental verändern (und auch für immer zerstören) und die Geyrhalter dabei zu Wort kommen lässt, wird dabei allerdings nie die Schuld zugeschoben, ganz im Gegenteil: Vielmehr wird versucht, Orte auf der Kinoleinwand zu zeigen, die sonst schwer zugänglich sind. Das Publikum wird ganz automatisch zur Reflexion angeregt. So kommt beispielsweise in Spanien ein Archäologe zu Wort, der meint, „Der Mensch lernt aus nichts und noch weniger aus der Geschichte. Ich weiß nicht, warum”; ein Bauleiter aus Kalifornien wiederum bezeichnet seine Tätigkeit als ein „notwendiges Übel“, um Landschaftsflächen für den Menschen produktiver zu nutzen.

Neue Orte werden meist mit beeindruckenden Großaufnahmen aus der Vogelperspektive eingeführt. Große Baggermaschinen bewegen sich ästhetisch, fast schon choreographisch anmutend, durch die Landschaft. Das Ganze wirkt auf diese Weise manchmal schon so abstrakt, dass man die Zerstörung dahinter für einen kurzen Augenblick zu vergessen scheint. Durch Interviews sowie Sprengungen aus nächster Nähe wird man als Zuseher und Zuseherin jedoch schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.

Fazit:

Der gebürtige Wiener Geyrhalter hat sich mit seinem überaus markanten Stil längst einen Namen gemacht. In „Erde“ setzt er auf geduldig wirkende, statische Kameraführung, gepaart mit vielen Zentralperspektiven. Ähnlich wie in seinen vorherigen Filmen wie „Die bauliche Maßnahme“ vermitteln die stilisierten Luftaufnahmen eine ruhige beziehungsweise gelassene Stimmung, die den eigentlich dargestellten Inhalt, die maßgebliche Zerstörung der Umwelt, konterkarieren. Er schaut den Maschinen und den Menschen bei der unwiderruflichen Zerstörung der Natur zu und lässt handelnde Akteure und Akteurinnen selbst zu Wort kommen. Dabei zeichnet er, wie bereits in seinen bisherigen Filmen, geduldig auf, ohne zu kommentieren, geschweige denn zu verurteilen. „Erde“ versteht es so gekonnt, auf größere Zusammenhänge hinzuweisen und lädt dazu ein, die eigene Verantwortung zu reflektieren.

Bewertung:

8 von 10 Punkten

Titelbild: © NGF; Textbilder: © Stadtkino Filmverleih