Das Entdecken der eigenen Sexualität, losgelöst von sozialen und kulturellen Normen, Vorgaben und Ängsten. Das Entfliehen aus dem familiär auferlegten Korsett. Das Streben nach Gleichberechtigung. Die Umwandlung einer simulierten in eine echte Freiheit. Frei sein, frei leben, frei sterben. Frau sein. Themen, die schon unzählige Male durch das Medium Film verarbeitet worden sind, und die für den Großteil der Gesellschaft in Europa selbstverständlich klingen. In weiten Teilen der Welt sind diese Themen aber nahezu tabu und geradezu verpönt. Asien, Vorreiter für Technologie und Feinstaubbelastung, ist ein Beispiel für ebenjene Einschränkungen, cinematografisch verarbeitet in „Antiporno“, der das in den 1980er Jahren populäre Genre des Romantic Porn wieder aufleben lässt.

von Cliff Brocker
hoff

Der Film erzählt die Geschichte der jungen Kyoko, die, ausgestattet mit einem perfekten Körper und einem makellosen Antlitz, ihr Dasein im goldenen Käfig fristet. Gelangweilt von sich selbst, ihrer Umgebung und ihrem Leben träumt sie davon, einmal eine „Hure“ zu sein. Um dieses Ziel zu verwirklichen, beschließt die erfolgreiche Malerin sich als Schauspielerin zu versuchen. Ausgewählt hat sie dafür ein besonderes Werk; besser gesagt ebenjenen Film, dem der Zuschauer seit geraumer Zeit beiwohnt.

Ja, die Handlung ist mitunter verwirrend. Fiktion und Realität liegen ebenso nah beieinander wie Genie und Wahnsinn. Sinniert Kyoko in einem Moment noch über den Tod ihrer kleinen Schwester, befiehlt sie mit dem nächsten Atemzug die forcierte Befriedigung ihrer Assistentin mit einem Umschnalldildo. Überwiegend hysterisch und laut artikulierend springt, tanzt und kugelt sich die Protagonistin durch ihr Apartment, bis eine männliche Stimme dem Treiben ein Ende bereitet. Es ist das Organ des Regisseurs, dessen Anweisungen und Handlungen sich als wiederkehrende Umkehrung der Machtverhältnisse offenbaren. Das durchweg männliche Ensemble hinter der Kamera bestimmt den Fortlauf der Handlung, und Kyoko kehrt zurück in ihre Rolle der unerfahrenen und naiven Teenagerin, die Nacht für Nacht den Klängen des elterlichen Liebesspiels lauschen muss.

Auch, wenn das Werk des Japaners Sion Soto viel nackte Haut zu bieten hat und die Körper der hüllenlosen Damen im Allgemeinen als sinnlich beschrieben werden können: mit Erotik wird der Zuschauer nicht belohnt. Stattdessen bietet sich ein asexuelles Treiben in knallbunten Farben, das hinter all der Frivolität viel mehr offenbart als die Schauspielerinnen selber. Es ist Beanstandung in Reinkultur, die Entblößung einer hochstilisierten Popkultur und die Demaskierung eines festgefahrenen Machtgefüges. Alles verpackt in eine an Wahnsinn grenzende Zurschaustellung eines Selbstverständnisses, dem der aufgeschlossene Zuschauer voyeuristisch beiwohnen darf. Oder beiwohnen muss, je nachdem, aus welcher Perspektive man das Ganze betrachtet. Entgegen der ursprünglichen Befürchtung, dass der Film dem Grundsatz „style over substance“ zum Opfer fällt, ist er trotz all seiner verrückten Grenzüberschreitungen ein überraschend vielschichtiger und eindringlicher Blick auf eingangs erwähnte Missstände, sodass sich Stilistik und Materie beinahe die Waage halten.

Fazit:

Eine klar definierte Einordnung in ein Genre ist ebenso unmöglich, wie den Dialogen des Filmes ohne Untertitel folgen zu können. Irgendwo zwischen avantgardistischer Gesellschaftskritik und verschrobenem Softporno will sich „Antiporno“ nicht in eine Ecke zwängen lassen und ist somit wohl nur denen zu empfehlen, die ein Faible für asiatisches Experimentalkino haben und sich gerne auch mal zwei Minuten von einer nackten Asiatin anschreien lassen. Allen anderen sei an dieser Stelle eine ausdrückliche Warnung vor diesem 78-minütigen Genrehybriden ausgesprochen.

Bewertung:

6 von 10 Punkten

Bilder: ©One Filmverleih