von Cliff Brockerhoff

Die Gedanken des Familienvaters Reed kreisen seit dem Heranwachsen um die Tötung eines Menschen. Das Stillen seiner Mordlust ist ihm ein inneres Bedürfnis, die Ermordung seines eigenen Stammhalters bringt er aber nicht übers Herz. Befeuert durch die Stimmen in seinem Kopf beschließt er, sich ein anderes Opfer zu suchen und fällt die folgenschwere Entscheidung, das Leben der Prostituierten Jacky zu beenden. Diese hat allerdings ganz andere Pläne mit Reed, sodass die bis ins Detail geplante Tat in Sekundenschnelle wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Zwischen Holzfassaden und Designermöbeln beginnt ein heiteres Katz- und Mausspiel.

„Piercing“ ist der zweite Spielfilm des US-Amerikaners Nicolas Pesce, der 2016 mit „The Eyes of my mother“ die Horrorgemeinde in Ekstase versetzte und aktuell mit der Neuauflage des modernen Horrorklassikers „The Grudge“ betraut ist. Sein Zweitlingswerk basiert auf dem 1994 erschienenen Roman aus der Feder von Ryu Murakami, der unter anderem auch die Vorlage zu „Audition“ lieferte. Pesces Horrorfilm mit schwarzhumorigem Einschlag feierte seine Premiere auf dem Sundance Film Festival und ist seit Ende letzten Monats nun auch im deutschsprachigen Raum erhältlich.

Bedingt durch die eingeschränkte Handlung begegnen dem Zuschauer im Laufe der Geschichte nicht mehr als eine Handvoll Akteure, von denen Christopher Abbott (Aufbruch zum Mond, It comes at night) in der Rolle des triebgesteuerten Möchtegern-Killers und Mia Wasikowska (Crimson Peak, Only lovers left alive) als nicht minder krankhaft agierende Prostituierte „Jackie“ den Großteil der Screentime für sich einnehmen. Abbott überzeugt dabei durch eine glaubhafte Verkörperung des zweifelnden Misogyns, der sich akribisch auf seine Tat vorbereitet, im Ernstfall aber alles andere als selbstsicher agiert. Insbesondere seine Präparation, inklusive Chloroform-Selbsttest, rufen einige schuldbewusste Lacher hervor, die bei genauerer Betrachtung der bierernsten Thematik schnell wieder im Halse versinken. Sein „Opfer“ besticht seinerseits durch gewisses Improvisationstalent, denn auch wenn von Anfang an angedeutet wird in welche Richtung ihr Charakter steuert, entstehen doch immer wieder kleinere Überraschungen, die die eh schon schmale Spielzeit von 81 Minuten noch einmal verkürzen. Die Chemie zwischen beiden passt gut, allerdings haben beide Schauspieler schon stärkere Leistungen in ihrer Karriere abgerufen, beziehungsweise abrufen müssen.

Inszenatorisch setzt das Werk vor allem auf die Imagination des Zuschauers. Neben einigen expliziten Szenen wird der Großteil nur in kurzen Cuts oder Bildausschnitten angedeutet und regt so die Vorstellungskraft an, die bekanntlich keine Grenzen kennt und sich subjektiv in anderer Ausprägung zeigt. Untermalt von einem abwechslungsreichen Soundtrack, der oft im harten Kontrast zum Gezeigten steht, kreiert „Piercing“ immer wieder einschneidende Bilder, die so leider viel zu selten zu sehen sind. Insgesamt schwankt der Film gekonnt zwischen den Extremen und wechselt spielend seine Tonalität. Wühlt er in einem Moment noch in den Abgründen der menschlichen Psyche, bohrt er sich im nächsten Moment mit einer blutigen Szene in die Netzhaut der Betrachter, nur um ein paar Minuten später romantikartige Zustände aufkommen zu lassen. Diese Abwechslung bereitet Freude, auch wenn so mancher Übergang etwas zu erzwungen wirkt und es schwerfällt, sich mit einer Stimmungslage anzufreunden. Hartgesottenen Genrefans wird der Stoff somit zu weich erscheinen, Anhänger von bissigen Komödien werden ihre Freude in blutigen Gewässern ertränken müssen.

Fazit

Irgendwo zwischen Fetisch und Femme Fatale reiht sich „Piercing“ als stilbewusstes Kammerspiel in das totgesagte Giallo-Subgenre ein und weckt in seinen besten Momenten sogar Erinnerungen an Skandalregisseur Lars von Trier. „Piercing“ geht wahrlich unter die Haut und verankert sich in den Gedanken seiner Zuschauer, neigt aber leider auch zur Selbstüberschätzung, sodass dem einmaligen Seherlebnis die Frage gegenübersteht, wie viel Spannung nach der ersten Sichtung verbleibt.

Bewertung

7 von 10 Punkten

Wer sich von der Kritik angesprochen fühlt und sich selbst ein Bild machen möchte, kann „Piercing“ ab sofort und hier auf Bluray oder DVD erwerben!

Bilder: ©Busch Media Group