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„Lillian“ – Kritik

Mit „Lillian“ vollzieht der österreichische Dokumentarfilmer und Fotograf Andreas Horvath sein Spielfilmdebüt. Dabei handelt es sich um ein entschleunigtes Roadmovie quer durch die USA, Kanada bis hin nach Alaska und an die Beringstraße an der russischen Grenze. Horvath selbst bezeichnet den Film, der von einer wahren Geschichte inspiriert wurde und bereits in Cannes für die goldene Kamera nominiert war, als „Chronik eines langsamen Verschwindens“. Bei uns startet der Film am 6. September in den Kinos.

Die gebürtige Russin, jedoch Wahl-New-Yorkerin Lillian hat schon lange kein Visum mehr für die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten. So stehen ihr nicht einmal mehr die Türen für Hardcore-Pornodrehs offen, um Geld zu verdienen, obwohl wir im Hintergrund sehen, um was für eine erniedrigende und menschenunwürdige Tätigkeit es sich hierbei handeln würde. Der Rat des potenziellen Arbeitsgebers: Sie solle wieder zurück in ihre Heimat Russland kehren. Kurzerhand macht sich Lillian schließlich auch auf den Weg, und das zu Fuß. Lediglich mit einem Beutel voller Cheetos und einer Weltkarte im Gepäck begeht sie ihre ungewöhnliche Reise. (Hier liegt die Assoziation zu Sean Penns „Into the Wild“ auf der Hand, der ebenfalls von einer nahezu meditativen Reise quer durch die USA Richtung Alaska handelt.)

Den Weg, den die Protagonistin Lillian (Patrycia Planik) zurücklegt, legte die Osteuropäerin Lillian Alling in den 1920ern tatsächlich zurück. Horvath nimmt die Geschichte der Frau, die sich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr zurückverfolgen lässt – wodurch sie bis heute als vermisst gilt – als Inspirationsquelle, verlegt die Handlung allerdings in die Gegenwart des Amerikas der heutigen Zeit. Der Fokus des Regisseurs, der auch die Kamera für den Film machte, liegt augenscheinlich auf dem poetischen Gehalt des Narrativs.

Horvath gelingt es so, die Geschichte universell zu gestalten und ein heutiges Amerika dem Publikum näher zu bringen, das auf den Kinoleinwänden selten so ehrlich gezeigt wird. Das gelingt vermutlich nicht zuletzt aus dem Grund, dass Horvath kein Drehbuch als Vorlage hatte. Die im Film präsentierten Situationen und Begegnungen mit anderen sind allesamt im Laufe der Reise des kleinen Filmteams entstanden und von realen Orten und Personen inspiriert. Somit ist das Roadmovie gewissermaßen eine Kombination aus vielen Zufällen und Improvisationen.

Innerhalb 130 Filmminuten entfaltet sich so ein äußerst wortkarges – die Protagonistin spricht während der ganzen Laufzeit lediglich ein Wort – Roadmovie der ganz langsamen Sorte. Umso mehr entfaltet sich die Komplexität Lillians sowie die mit dem Fortschreiten des Films immer intimer erscheinende Beziehung zu ihr.

Das hier repräsentierte Amerika wird in äußerst bildgewaltigen Großaufnahmen präsentiert, die faszinierender nicht sein könnten. Dadurch kommen Horvaths („Helmut Berger, Actor“) dokumentarische Wurzeln sowie seine Faszination für das Medium Fotografie zum Vorschein. So sieht man die Landschaften und vor allem auch die tristen amerikanischen Kleinstädte, in denen das Leben stehen geblieben zu sein scheint, aus der Sicht einer Fremden, die versucht, sich ihren Weg zu erkämpfen. Der Film spricht zwar explizit nie aus, wie gefährlich ihr Vorhaben ist und Lillian hat letztlich auch nie eine Begegnung mit jemanden, bei der es zu einer richtig brenzligen Situation kommt, jedoch werden gewisse Anzeichen subtil eingesetzt. So beispielsweise als die Protagonistin das Schild „Girls Don’t Hitchhike On The Highway Of Tears” in Kanada zu Fuß passiert, wo bereits unzählige Frauenmorde begangen wurden.

Zwar scheint der Film manchmal genauso ziellos wie seine Protagonistin selbst fortzuschreiten – wobei das Ziel natürlich bereits zu Beginn klar ist – nichtdestotrotz gelingt es ihm, eindrucksvoll das Wesen der Figur sowie selten dargestellte, so realistisch erscheinende USA darzustellen. Lillians Verschwinden, beziehungsweise die Ungewissheit über ihre weitere Reise, löst Horvath auf äußerst raffinierte poetische Weise. So wird gewissermaßen eine Vereinigung mit der Natur evoziert, die mit der Sichtung mythisch wirkender Polarlichter untermalt wird.

Fazit

Horvath gelingt mit „Lillian“ ein bildgewaltiges Roadmovie, das, ohne viele Worte zu verwenden, eine eindrucksvolle Geschichte erzählt. Inspiriert von einer wahren Begebenheit transferiert der Regisseur das Sujet in die Gegenwart und lässt die Protagonistin zu Fuß quer durch das heutige Amerika in Richtung Russland, ihrer Heimat, wandern. Beeindruckende Kameraaufnahmen, unterschiedlichste Begegnungen sowie die Abbildung eines selten so tristen, aber durchwegs authentisch wirkenden Amerikas sind das Ergebnis.

Bewertung

7 von 10 Punkten

Bilder: © Stadtkino Filmverleih

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