Für die einen war es die Horror-Entdeckung des Jahres, andere sahen in „Hereditary“ eine verschreibungspflichtige Schlafmedikation erster Güte. Und während sich die Geister immer noch an Ari Asters Erstlingswerk scheiden, legt der US-Amerikaner nur ein Jahr später bereits nach und entführt aufgeschlossene Zuschauer in „Midsommar“ auf einen unvergesslichen Trip. Ziel dieses Mal: ein traditionelles Festival in der schwedischen Provinz Hälsingland. Der Film ist seit gestern in unseren Kinos zu sehen.

von Cliff Brockerhoff

Aster verlagert die Handlung seines Zweitwerks also nach draußen und präsentiert nach seinem diabolischen Familiendrama nun eine überraschend hell erleuchtete Reise gen Norden, die mit ihrem nervösen Beginn nur ganz zu Anfang noch an „Hereditary“ erinnert, ihre Story aber fortan in Gänze an den Ort des weiteren Geschehens umsiedelt . Wir begegnen fröhlichen Menschen, die im Einklang mit der Natur und sich selbst leben. Mittendrin: Fünf junge Amerikaner, die einer Einladung ihres Kollegen Pelle gefolgt sind und sich an der Harmonie der kleinen Gemeinde erfreuen sollen. Doch natürlich kommt alles ganz anders.

Das blütenreine Weiß der Trachten färbt sich schnell blutrot, und anstelle von beschwingten Festivitäten werden die Fünf Zeuge von uralten Ritualen. Angedeutete Schockmomente machen Platz für eine absurde Vermengung aus schonungsloser Brutalität und schwereloser Lebensfreude. Die erklingende Symphonie würgt dabei die bizarrsten Töne hervor, nur um Sekunden später in rhythmische Tänze umzuschlagen, die das vorherige Unheil in Grund und Boden einstampfen. Ein zentrales Thema lässt sich nur schwer packen, geht es in „Midsommar“ doch um Trauer, Schuld, Liebe und die Überbrückung von kulturellen Differenzen, womit Aster sich dieses Mal gar in Peele’sche Gefilde wagt und auf sozialkritischer Ebene wandelt. Wasser auf die Mühlen der Horror-Puristen, denen die Kritik förmlich auf die Zunge gelegt wird, und plötzlich scheint sich doch noch eine Verbindung zum bekannten Möbelhaus mit den vier Buchstaben aufzutun – egal wie schön das Erzeugnis am Ende aussieht, ein Teil scheint immer zur Perfektion zu fehlen.

„Midsommar“ ereilt dieses Schicksal in abgeschwächter Ausprägung. Durch seine ruhige Erzählweise und quälend langsamen Kameraeinstellungen ergeben sich zwar leichte Ungereimtheiten und Längen, aber keine Langeweile. Es wirkt beinahe so, als würde das Licht der Mitternachtssonne die Augen der Zuschauer trüben und dafür sorgen, dass das Gefühl für Zeit und Raum schwindet. Denn egal, wie bedeutungslos eine Einstellung auch erscheinen mag, mit Fortlauf der Handlung schafft es der Film, den Glauben zu vermitteln, dass jedes Detail ausschlaggebend sein kann. Aster versteht es, Kompositionen so in Szene zu setzen, dass sie entweder von unendlicher Schönheit oder zumindest von unbestreitbarem Talent zeugen. Untermalt von heidnischen Klängen ist auch sein Folgewerk ein Feuerwerk an Kreativität und metaphorisch geladener Zurschaustellung einer schwer vorstellbaren Parallelwelt.

Fazit:

Aster sprengt in den knapp zweieinhalb Stunden nicht nur Köpfe; mit seinen visionären Ideen sprengt er vor allem die manifestierten Grenzen des Genres. Wer bei „Midsommar“ einen reinen Horrorfilm erwartet, wird sich vor Enttäuschung an seinem Blumenkranz strangulieren wollen. Das Werk pendelt gekonnt zwischen unterschwelligem Horror und nordischer Folklore, und ist bis unter das Dach vollgepackt mit Motiven, Referenzen und inszenatorischen Finessen. Die Mischung harmoniert nicht zu jedem Zeitpunkt, ist aber eine außergewöhnlicher Reise in die Hirnwindungen eines der vielversprechendsten Regisseure der Neuzeit, der es nur noch schaffen muss, seine Stärken gewinnbringend zu bündeln.

Bewertung:

8 von 10 Punkten

Bilder: ©Weltkino / Luna Filmverleih