20 Jahre Produktionshölle: Klingt nicht gerade nach der Voraussetzung für ein filmisches Meisterwerk. Erste Reaktionen ließen Schlimmes erahnen, doch tatsächlich überrascht „Gemini Man“ von Ang Lee, ab morgen bei uns im Kino, durch höchst innovative Kameraarbeit, technisch beeindruckende De-Aging-Effekte und handfeste, geradezu minimalistisch inszenierte Action.

von Christian Klosz

Der 51-jährige Auftragskiller Henry Brogan (Will Smith) hat genug von seinem Job: Vor allem moralische Bedenken führen dazu, dass er sich in den Ruhestand begeben will, und es ab nun ruhiger angehen möchte. Einer seiner Förderer und Auftraggeber, Clay Varris (Clive Owen), will sich damit nicht abfinden, und hetzt Brogan einen 25 Jahre jüngeren Klon, genannt „Junior“, auf den Hals, der ihn liquidieren soll. Ebenso wie sein DNA-Spender ist Junior eine höchst effiziente und präzise Tötungsmaschine, das Aufkommen moralischer Bedenken erstickt Varris, der Junior als „Adoptivvater“ aufzog, im Keim. Um sein Überleben zu sichern, muss Henry Sen. „Junior“ mit der Wahrheit konfrontieren. Unterstützung erhält er dabei von der Agentin Danny Zakarweski (Mary Elizabeth Winstead), die ihn zuerst beschatten sollte, dann aber überläuft. Ein Katz- und Maus-Spiel beginnt, in dessen Mitte die Konfrontation der beiden Brogan-Zwillinge und an dessen Ende die Konfrontation mit „Übervater“ Varris steht.

Will Smith jagt sich selbst: „Gemini Man“ von Ang Lee, ab 3.10. im Kino.

„Gemini Man“ erhielt bisher eher negative Kritiken. Diese stoßen sich vor Allem am „dünnen Plot“ oder an der wenig inspirierten Story. Wenn man den Fokus auf die dramaturgischen Aspekte legt, ist der Film tatsächlich nur Mittelmaß. Ang Lee und seinem Kameramnn Dion Beebe geht es aber ganz offensichtlich um etwas ganz anderes, nämlich das Ausloten technischer Grenzen und visueller Möglichkeiten im modernen Action-Kino. Und hier kann das Fazit nur lauten: Höchst beeindruckend.

„Gemini Man“ legt den Fokus auf die visuellen Komponenten und besticht durch eine ultra-hochauflösende Optik (der nicht mal die 3D-Effekte Schaden zufügen), die einem stets das Gefühl gibt, ganz nah dran und direkt am Geschehen zu sein. Beebes Zugang erinnert frappant an seine Arbeit in „Collateral“ und, noch mehr, in „Miami Vice“, wo er bereits früh mit hochauflösenden Kameras hantiert hatte, wie der Film überhaupt stark durch das Michael Mann-Actionkino beeinflusst scheint. Ein weiterer Referenzpunkt ist Tony Scott, der ja auch selbst lange Zeit als Regisseur von „Gemini Man“ zur Diskussion stand.

Die packenden Actionszenen sind toll choreographiert, verzichten großteils auf CGI und unnötige Effekte, wirken dadurch „handgemacht“ – und bleiben deshalb umso stärker im Gedächtnis. Durch diesen an heutigen Standards gemessenen geradezu minimalistischen Zugang wirken sie gleichzeitig altmodisch, „aus der Zeit gefallen“, und doch, dank der kreativen Kameraarbeit, hochinnovativ: Ang Lee weiß, dass weniger oft mehr ist, und dass es auf den gezielten und wohl dosierten Einsatz technischer Möglichkeiten ankommt. Dazu zählt auch der groß angekündigte Einsatz der neuen De-Aging-Technologie, die Will Smith als „Junior“ um 25 Jahre jünger macht: Wüsste man nicht, was hier vor sich geht, würde man denken, es gibt tatsächlich einen Smith-Klon irgendwo in Hollywood, so makellos wurde hier gearbeitet.

Fazit:

Den schlechten Kritiken sollte man nicht glauben: „Gemini Man“ ist ein vor allem auf visueller Ebene beeindruckender Sci-Fi-Actionfilm, der durch seine hochauflösende Hochglanz-Bildgebung und toll choreographierte und inszenierte Action-Sequenzen punkten kann. Die Story rückt demgegenüber etwas in den Hintergrund, das fällt aber kaum ins Gewicht, denn darum geht es den Machern sowieso nicht: Stattdessen gibt es in seiner Virtuosität nahezu poetisches Action-Kino auf stilistisch hohem Niveau, das durchaus dazu angetan ist, diesem Genre den Weg in die Zukunft zu weisen.

Bewertung:

8 von 10 Punkten

Bilder: (c) Constantinfilm / Paramount