Im fernöstlich geprägten Raum der Filmschaffenden erwuchs in den letzten Jahren ein zartes Aufbegehren gegen die Übermacht aus Hollywood. Filme wie „Train to Busan“ oder „Burning“ vereinten die Stärken des traditionellen Filmtheaters mit den Stärken des Hochglanzkinos aus den USA, und konnten sich so nicht nur in diversen Bestenlisten, sondern vor allem in den Herzen der Filmfans platzieren. Ein Werk, das beste Chancen besitzt, sich in diese Riege einzureihen, erwartet den interessierten Zuschauer ab dem 18. Oktober 2019 in den Lichtspielhäusern und hört auf den Namen „Parasite“.

von Cliff Brockerhoff

Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht sich der Parasit als tierischer oder pflanzlicher Schmarotzer, der sich in seinem Wirt einnistet und so einseitig Nutzen aus den Gegebenheiten zieht. In der Literatur beschreibt das Wort aber ebenfalls eine Figur, die sich durch die Erbringung diverser Dienste in die Häuser der Reichen einschmeichelt und es sich im fremden Habitat gemütlich macht. Genau das ist in diesem Falle auch der grobe Umriss der Handlung des südkoreanischen Werkes, das der Feder von Bong Joon-ho entsprungen ist und schon vor seinem weltweiten Start für Furore sorgte, war es doch der erste südkoreanische Film, der bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes die Goldene Palme für sich veranschlagen konnte.

Doch was macht „Parasite“ so besonders? Zum einen sieht sich der Zuschauer im Verlauf der 132 Minuten einem wahren Sammelsurium an Genres gegenüber. Startet der Film noch als unschuldiges Familiendrama, entwickelt sich im Fortlauf eine unvorhersehbare Fahrt durch diverse Gattungen. Das Besondere ist, dass sich die einzelnen Sequenzen dabei nicht im Wege stehen, sondern vielmehr gegenseitig stärken. Zahlreiche Szenen sind gleichzeitig so spannend – oder gar brutal – und entbehren trotzdem nicht einem gewissen humoristischen Touch, sodass der Zuschauer sich ob der Absurdität fragt, ob er nun lauthals lachen oder stillschweigend auf seinem Sitz verharren soll. Der Film wird mühelos durch seine emotionale Bandbreite getragen und ist immer in der Lage, für eine Überraschung zu sorgen. Erfrischender Frohsinn reiht sich an intensive Spannungsmomente, nur um im nächsten Augenblick die Herzfrequenz mithilfe eines Schockmomentes in die Höhe schnellen zu lassen. Es wird geklotzt statt gekleckert, und das zahlt sich aus.

Eine weitere, nicht unbedeutende Stärke ist der Look. Auch wenn sich die Handlung des Films zu weiten Teilen als Kammerspiel entpuppt und im selben Haus abspielt, sprüht jede einzelne Einstellung vor Kreativität und Energie. Durch eigenwillig gewählte Kompositionen lässt „Parasite“ auch in den ruhigeren Momenten keinen Raum für Langeweile, kann sich der anspruchsvolle Betrachter doch immer wieder an wundervollen Lichtspielen oder der fantastischen Detailverliebtheit der Schöpfer laben. Regelmäßig wird die tendenziell simple Story von imposanten Momentaufnahmen unterbrochen, bei denen Cineasten das Herz aufgeht. Und als wäre dies nicht schon genug, erzählt „Parasite“ nicht nur seine augenscheinliche Handlung, sondern wagt auch einen behutsamen Schritt in Richtung Sozialkritik. Hier wird nicht stumpf mit dem Finger in der Wunde gebohrt, hier werden die Glieder langsam kreisen gelassen, sodass am Ende jeder für sich selber entscheiden darf, ob er sich der leise ausgesprochenen Klage annimmt.

Fazit:

Eigentlich sollten extravagante Genremischungen im Jahre 2019 keinen Filmfan mehr wirklich überraschen können; die schwindelerregende Höhe, in die sich „Parasite“ spielt, darf allerdings ohne Zweifel als Paukenschlag tituliert werden. Unglaublich lustig, postwendend bitterernst und zu jedem Zeitpunkt Herr der Lage – dieser Film wird zu Recht als eines der Highlights des Jahres angepriesen, bietet zwanglose Unterhaltung und liefert zudem eloquente Denkanstöße in angenehm dezentem Maße. Unsere Empfehlung: Nistet euch in einem Kino eurer Wahl ein und genießt diesen brillanten Ausflug in die Speerspitze asiatischer Filmkunst.

Wertung:

9 von 10 Punkten

Bilder: ©Filmladen / Koch Films