„Grâce à Dieu“, so lautet der Originaltitel von François Ozons Film über den Kindesmissbrauchsskandal in der katholischen Kirche Lyons, also „Gott sei Dank“. Es sind diese schaurigen Worte, die der inzwischen wegen Nicht-Anzeige verurteilte Kardinal Barbarin 2016 im Rahmen einer Pressekonferenz aussprach. „Gott sei Dank“, sagte er, seien die missbräuchlichen Taten, die dem Priester Preynat vorgeworfen wurden, bereits verjährt. Den wahren Begebenheiten rund um die Causa wollte sich Ozon ursprünglich in einem Dokumentarfilm widmen, schließlich entschied er sich für einen Spielfilm. Dieser wurde auf der Berlinale 2019 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.

von Paul Kunz

Der Film konzentriert sich zunächst auf den überzeugten Katholiken Alexandre (Melvil Poupad), der 2014 durch einen Zufall erfährt, dass der Priester Bernard Preynat (Bernard Verley), der Alexandre als Kind wiederholt missbraucht hatte, nach wie vor mit Jugendlichen zusammenarbeitet. Eine Anzeige ist nicht möglich, denn der Fall ist inzwischen verjährt, doch Alexandre möchte die katholische Kirche von Übeltätern wie Preynat befreien und einen Ausschluss erwirken. In Zuge dessen macht er sich auf die Suche nach weiteren Opfern Preynats und wird in François (Denis Ménochet) und Emmanuel (Swann Arlaud) bald fündig. Gemeinsam gründen sie die Gruppe „La parole libéree“ und gehen mit ihrem Anliegen an die Öffentlichkeit.

„Gelobt sei Gott” ist in drei Akte geteilt, die sich jeweils auf einen anderen Mann konzentrieren, der als Kind ein Opfer Preynats wurde. Die späte Einführung neuer Protagonisten ist kurz irritierend, funktioniert aber thematisch irrsinnig gut. Hier finden sich Männer zusammen, die sich zunächst für allein hielten, als Einzelkämpfer fühlten, und schließlich entdecken, dass es andere gibt, die ihr Leid teilen und die gemeinsam etwas bewirken. Es ist ein heilsamer Prozess nach der enormen Frustration, die man verspürt, wenn Vertreter der Kirche auf Vorwürfe reagieren: ein scheinbarer Kampf gegen Windmühlen.

Der Film interessiert sich für das Innenleben dieser verletzlichen Männer und verlässt sich auf seine klug geschriebenen Dialoge und die überzeugenden schauspielerischen Leistungen der Protagonisten, um diese dem Publikum näher zu bringen. Hierfür hat sich Ozon an Originaldokumenten, wie Briefen oder Polizeiberichten, orientiert. Der Verlass auf echte Briefe entpuppt sich jedoch als zweischneidiges Schwert: insbesondere der erste Akt des Films wird auf mühsame Weise von Briefwechseln zwischen Alexandre und Kirchenvertretern dominiert, die als Voice-Over aus dem Off vorgetragen werden und weit weniger Wucht in sich tragen, als die Momente, in denen Menschen einander gegenüber sitzen und miteinander sprechen.

Ozon inszeniert die drei Akte überwiegend gleich, nämlich in kühlen Bildern von schwer anmutender Eleganz. Das ist niemals zu pathetisch, aber auch nicht völlig distanziert, wie im vergleichbaren Journalistendrama „Spotlight“, dessen Filmplakat hier sogar in einer Szene an einer Wand hängt. Da die Geschichte diesmal nicht aus der Sicht unbeteiligter Journalisten, sondern von den Betroffenen selbst erzählt wird, ist der Ton, den Ozon anschlägt, ausgezeichnet getroffen.

Vielleicht sind es auch dieser Mangel an Abstand und der Wunsch, jede Einzelheit auszuleuchten, die den Film beizeiten ausufern lassen. Denn „Gelobt sei Gott“ hätte von einer Straffung enorm profitieren können. Diese hätte verhindert, dass die inhaltliche Stärke der Haupthandlung allzu oft in Nebensächlichkeiten verlorengeht. Hinzu kommen Flashbacks, die die eigentlichen Missbrauchsvorfälle zeigen, beziehungsweise andeuten. Sie tragen nichts zur Handlung bei und unterbrechen stattdessen den Fluss der Inszenierung. Und so fühlt sich der Film letzten Endes länger an als seine ohnehin beachtliche Laufzeit von 137 Minuten.

Fazit

Nichts desto trotz ist „Gelobt sei Gott“ ein äußerst gelungener Film über das harte und leider allzu wahre Thema des Kindesmissbrauchs in der katholischen Kirche. Mit enormer Feinfühligkeit nähert sich Ozon seinen Figuren und verlässt sich gänzlich auf klug geschriebene Dialoge, um sie uns näher zu bringen. Doch der Film setzt auch zu sehr auf seine Voice-Over-Briefwechsel und verliert beizeiten den roten Faden, weswegen die französische Antwort auf „Spotlight“ hinter der amerikanischen Aufarbeitung der Thematik zurückbleibt. Der Film ist ab 18.10. im Kino zu sehen.

Bewertung

8 von 10 Punkten

Bilder: (c) 2019 ThimFilm