Mit der Giallo-Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum geht eine spannende Entdeckungsreise zu Ende. Das erlesene Programm der weltweit einzigartigen Werkschau erlaubte neue Begegnungen mit liebgewonnenen Schätzen, stellte aber auch selbst KennerInnen versteckte Perlen vor. Persönliche Highlights möchten wir hiermit Revue passieren lassen und allen Interessierten ans Herz legen.

von Daniel Krunz

Die Klassiker:

„Blutige Seide“ („Sei donne per l’assassino“ Mario Bava, 1964)

Ein Jahr nachdem der „Maestro“ des Italo-Horrors, mit „Das Mädchen, das zu viel wusste“,  den Prototyp einer Stilrichtung konstruiert hatte, wechselt er von Schwarz-Weiß in die schillernde Eastmancolor kontemporärer Gothic-Schocker und prägt den Look späterer Werkantworten. Kern bleibt eine altbewährte Krimiformel à la Wallace, doch die künstlerische Ausgestaltung setzt innovative Maßstäbe und schlägt auch mit der härteren Gangart einen neuen Weg ein, den viele Filmemacher kreuzen werden. Bava schenkt dem Krimi ein todschickes Gewand, tapeziert seine Frames mit signalfarbenen Texturen und ergänzt die Palette mit knallrotem Kunstblut. Mit dem ersten Schritt für den Aufbruch in die Moderne setzt er einen kunstvoll geschliffenen Meilenstein, der sich seiner Abstraktheit bewusst ist.

„Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ („L’uccello dalle piume di cristallo“ Dario Argento, 1970)

„Er hat vom Besten gelernt“, ist eine Behauptung, die auf Dario Argento definitiv zutrifft. Mario Bavas Protegé verwendet die Genre-Blaupause seines Lehrmeisters als Fundament seiner eigenen Visionen, die einen unaufhaltsamen Trend in Gang setzen. Pünktlich zu Beginn eines neuen Jahrzehnts betätigt Argento den Reset-Knopf und gibt der Stilrichtung eine hochmoderne Prägung. Gleichzeitig reichert er in seinem Regiedebüt  hitchcock’sche Erzählstrategien mit zeitgemäßen Überlegungen an und etabliert bereits am Beginn seiner Filmographie die einzigartige Bildsprache, die er im Laufe der hier initiierten „Tier-Trilogie“ perfektioniert.

„Quäle nie ein Kind zum Scherz“ („Non si sevizia un paperino“ Lucio Fulci, 1973)

Mit Lucio Fulci ist das Trio Infernale der namhaftesten italienischen Horrorfilmer komplett. Der exzentrische Künstler wurde von Kritik und Zensur zu Unrecht oft stiefmütterlich behandelt und ist vor allem für drastische Horrorschocker mit explizitem Gore bekannt. Schockierend und blutig sind auch Fulcis Ausflüge in den Giallo, selten jedoch erlaubte er sich solch gesellschaftsrelevante Statements wie in diesem Zentralwerk. „Quäle nie ein Kind zum Scherz“ ist damit auch innerhalb des Genres eine Ausnahmeerscheinung, die statt einer mondänen Metropole, ein rurales Setting wählt und zum Sinnbild der reaktionären Gefahrenherde in einer gespaltenen Gesellschaft stilisiert. Schonungslos, brutal und poetisch.

Quäle nie ein Kind zum Scherz, 1972, Lucio Fulci, Foto: Stadtkino Basel

„Der Killer von Wien“ („Lo strano vizio della Signora Wardh“ Sergio Martino, 1971)

Martino, Hilton, Fenech… und Freud! Ein Dreamteam, das erotische Psychothriller in stylischer Aufmachung garantiert. In einem zeitgeistigen Hochglanzprodukt mit emanzipatorischem Subtext dient das weltschmerzende Wien als Auffangbecken jetsetender Trendsetter und gefährlicher Gewaltfetischisten. Martino macht Edwige Fenech zum Spielball begehrender Männer und gleichsam zur unbestrittenen Genrediva. Hypnotische Visionen, begleitet von sphärischen Klängen, generieren unvergessliche cineastische Erfahrungsmomente von sinnlicher Strahlkraft.

Ausführliche Kritik: „Der Killer von Wien“

„Rosso-Farbe des Todes“ („Profondo Rosso“ Dario Argento, 1975)

Argento zum zweiten. Nachdem sich seine Impulse epidemisch verselbstständigt hatten, meldet sich der Initiator zurück und verdichtet den Wildwuchs zu seiner gemeinsamen Wurzel. Am vorläufigen Höhepunkt seines Schaffens formuliert er ein cineastisches Pamphlet des Stilbewusstseins und fasst die Grammatik der von ihm geschaffenen Formsprache lehrbuchhaft nieder. Erzählerisch ein feingewebtes, symmetrisches Netz, gestalterisch ein bild- und farbgewaltiges Leinwandspektakel  und gleichsam Vorstudie zu Argentos „Suspiria“, das zwei Jahre später Horrorfilmgeschichte schreibt.

Ausführliche Kritik: „Profondo Rosso“

Rosso – Farbe des Todes, 1975, Dario Argento, Foto: Intramovies

Die Geheimtipps:

„Die Frau vom See“ („La donna del lago“ Luigi Bazzoni, Franco Rosselini, 1965)

Ehe der Giallo Farbe bekannte, bereicherte dieses monochrome Kleinod das italienische Genrekino. Farblos wird aber nur die winterliche Provinz gezeichnet, allegorisch für Gefühlskälte und ein unwirtliches Klima. Das Leitmotiv der brüchigen Erinnerung  steht hier für das geschönte Andenken an eine Person, das durch non-lineare Verschränkungen allmählich der Wahrheit weicht. Das im Giallo Kontext selten genannte Kunststück schlägt den Mainstream-Plot in distinguierter Arthouse-Manier auf und beschert gravierende Traumbilder, durch die ein gar nicht schwacher Hauch von Nouvelle Vague weht.

„Das Haus der lachenden Fenster“ („La casa dalle finestre che ridono“ Pupi Avati, 1976)

Den Status Geheimtipp schuldet der Film nicht mangelnder Bekanntheit, vielmehr ist in der populären Rezeption seine Klassifizierung als Giallo umstritten. Festgefahrene Genredefinitionen versperren aber den Blick auf das intertextuelle Beziehungsnetz hinter dem Begriff, der mehr als künstlerische Strömung, denn als eingetragenes Markenzeichen verstanden werden sollte. Pupi Avati bedient sich eindeutig am Motivkatalog des Giallo, geht aber ganz eigene Wege, die dem atmosphärischen Mysterythriller ein absolutes Alleinstellunsmerkmal verleihen. Mit der Geduld eines Dramas studiert er den verängstigten Gemütszustand des Protagonisten, ehe sich das stets präsente Geheimnis in verstörenden Bildern auflöst.

„Anima Persa“ (Dino Risi, 1977)

Die Stilmittel der Giallo-Mode wirkten bis in höchste Kreise, so auch in diese anspruchsvolle Literaturverfilmung von Dino Risi, die Grande Dame Catherine Deneuve als Hauptdarstellerin gewinnt. Das Ergebnis ist aber alles Andere als Anbiederung an einen abklingenden Trend, vielmehr lässt sich Risi von der Stimmung, die manch rezenter Thriller ausstrahlt, inspirieren und erkennt das melancholische Potential, das der Adaption der Romanvorlage treffend ansteht. Ein bröckelnder Wohnpalast in einem grauen Venedig wird als Sinnbild des geistigen und körperlichen Verfalls, zur Schutzhaftanstalt für die titelgebende verlorene Seele. „Anima Persa“ berührt damit durchaus ernste Themen, tut dies aber mit aller europäischer Eleganz, die Bilder von beklemmender Schönheit hervorbringt.

Magnum 45 („…e tanta paura“ Paolo Cavara, 1976)

Ganz Mailand zittert vor dem Struwwelpeter-Killer. Struwwelpeter-Killer? Ganz richtig, denn das Phantom in diesem Murder Mystery hinterlässt an den Tatorten Illustrationen aus Dr. Hoffmanns Kinderbuchklassiker. Nicht das einzige Kuriosum in Paolo Cavaras zweitem Giallo nach „Der schwarze Leib der Tarantel“,  der ähnlich seinem Vorgänger, in einem seltenen Schritt, einen offiziellen Mordermittler, sprich Polizeibeamten zur Hauptfigur erklärt. Doch damit nicht genug, denn der junge Kommissar wird auch noch in charmanter Klischee-Subversion reihenweise von Frauen benützt und fallengelassen. Es entsteht ein typischer „Sittenbild-Giallo““, der ethikbefreite Dekadenz und Moralaposteltum aufzeichnet. Überraschend sind aber sowohl der schwermütig-nachdenkliche Ton und noch viel mehr der humoristische Anstrich.

„Sonnenflecken“ („Macchie solari“ Armando Crispino, 1975)

Eine im positivsten Wortsinn merkwürdige Erscheinung, die sich das Programm zum maximalen Überraschungseffekt bis zuletzt aufhob. „Sonnenflecken“ zündet die Bombe aber gleich zu Beginn in einem Serienfeuer morbider Wahnmomente und initiiert einen psychedelischen Horrortrip, bei dem ein Albtraumszenario das nächste jagt. Mit argentoesker Ästhetik und fulcihafter Frechheit entwirft Crispino eine surreal überzogene Wirklichkeit voller irrationaler, undurchsichtiger Gestalten, angeführt von einer neurotischen Heldin. Auf der Thriller-Grundierung hinterlässt Crispino eine schrille Collage aus Schockfetzen und schenkt dem Wortpaar „nacktes Grauen“ eine neue Bedeutung.

Zwischen den erklärten Meilensteinen und obskuren Geheimtipps liegen natürlich noch zahlreich illustre Wegmarkierungen, die hier den Rahmen sprengen würden. Der Rahmen der Giallo-Retrospektive illustrierte jedenfalls den weiten Spielraum dieser Spielart und das Österreichische Filmmuseum stellte wohlgehortete Schätze aus. Der unerschöpfliche Fundus, den das Phänomen Giallo gebar, wurde ersichtlich, ebenso wie die kulturtheoretische Attraktivität, die es mit sich bringt. Wir blicken auf eine hochspannende Werkschau zurück und sind gewiss nicht als einzige von der Gelbsucht infiziert worden.

Titelbild: Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe), 1969, Dario Argento, Foto: Cineteca Nazionale