1980 war das Jahr, in dem eine Buchverfilmung Kinogeschichte schreiben sollte: eine der ersten Adaptionen eines Romans von Stephen King spaltete die Zuschauerschaft, auf der einen Seite jene, die „The Shining“ als vielschichtiges Meisterwerk priesen, auf der anderen Seite jene, welche dem Autor und seiner harschen Kritik daran bereitwillig zustimmten. Tatsächlich kann man Kubricks Werk nicht gerade Vorlagentreue attestieren – immerhin wurden die meisten Erklärungen für die bizarren Geschehnisse entweder ganz ausgelassen oder lediglich angedeutet, die Kernelemente mancher Figuren geändert und ein völlig neuer Schluss erdacht. Der dieses Wochenende erscheinende „Doctor Sleep“, der seinerseits die Adaption des von King im Jahr 2013 veröffentlichten gleichnamigen Romans darstellt, versucht nun, die Wogen ein wenig zu glätten und den Spagat zwischen getreuer Umsetzung und Fortsetzung von Kubricks Ausnahme-Horror zu schaffen.

von Mara Hollenstein-Tirk

Es ist nicht so leicht, dem Schrecken des Overlook Hotels zu entkommen, dass muss der mit dem „Shining“ geborene Danny am eigenen Leibe feststellen, denn selbst bis nach Florida verfolgen ihn die Geister jener Tage. Auch 30 Jahre später konnte er das Trauma noch nicht überwinden und betrinkt sich lieber bis zur Besinnungslosigkeit, um seinen Dämonen zu entfliehen, anstatt sich ihnen zu stellen. Doch eines Tages steigt er in einen Bus, bereit sein Leben endlich in den Griff zu bekommen, bereit, seine Fähigkeiten zumindest ein Stück weit zu akzeptieren, bereit, sich mit seinen Dämonen auseinander zu setzen. Und tatsächlich scheint alles glatt zu gehen – bis ihn eines Tages ein junges Mädchen telepathisch kontaktiert und um Hilfe bittet. Ehe er sich versieht, lenkt er einen Wagen jene verschneite Bergstraße empor, welche er nur allzu gut in Erinnerung hat, um abzuschließen, was vor so langer Zeit begonnen wurde…

Wie soll man eine Fortsetzung zu einem Filmklassiker verfilmen – selbst wenn man als Vorlage den Roman des King of Horror auf seiner Seite hat? Diese Frage dürfte wohl auch Mike Flanagan durch den Kopf gegangen sein, als er sich dazu bereit erklärt hatte, die Regie von „Doctor Sleep“ (bei uns unter dem Titel „Doctor Sleeps Erwachen“ im Kino) zu übernehmen. Eines sollte klar sein: Man muss dem Vorgänger natürlich Tribut zollen und sich an ihm orientieren, erst recht, wenn man in die Fußstapfen eines Genies wie Kubrick tritt. Ebenso klar ist, dass man sich dennoch nicht zu sehr im Stil seines Vorgängers verlieren darf, immerhin will man ja auch seinen eigenen Fußabdruck hinterlassen. Und tatsächlich löst das Team hinter dem Film diese schier unmögliche Aufgabe ziemlich elegant: die visuellen und akustischen Referenzen sind deutlich spürbar, ohne dabei allerdings, dank der dennoch deutlich erkennbaren eigenen Handschrift, wie reine Kopien zu wirken.

Trotz dieses gelungenen Tanzes auf dem Drahtseil muss man am Ende leider dennoch sagen, dass der Film nicht nur hinter seinem Vorgänger, sondern auch hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Das liegt einerseits an dem Drehbuch, welches gerade zu Beginn erstaunlich viel Aufklärung betreibt, welcher es in dieser Form wohl nicht bedurft hätte, nur um sich gegen Ende hin zu einem Katz-und-Maus-Spiel zu entwickeln. Dieses gegenseitige Abtasten, Verfolgen und Austricksen der Kontrahenten ist zwar durchwegs spannende und mit einem angenehmen Tempo inszeniert, allerdings wird man das Gefühl nicht los, dass nicht viel übrig geblieben ist von der bedrückenden Stimmung des Vorgängers, außer einiger zugegebenermaßen treffsicher platzierter Schreckmomente. Nimmt die Geschichte dann endlich richtig Fahrt auf, nämlich mit Erreichen des bereits erwähnten Overlook Hotels, ist es plötzlich die Inszenierung, welche zu schwächeln beginnt und immer mehr in Richtung „schlechtere Kopie“ abdriftet. Denn hier, in diesem vertrauten Setting, kann der Zuschauer nicht mehr anders, als „Doctor Sleep“ und „The Shining“ direkt miteinander zu vergleichen und umso deutlicher festzustellen, weshalb Kubrick seinen Platz in der Filmgeschichte wahrlich verdient hat.

doctor sleep

Da hilft es dann auch nur mehr wenig, dass Ewan McGregor als Don Torrance und Rebecca Ferguson als Rose the Hat über den gesamten Streifen hinweg eine wirklich gute Performance abliefern, auf eine digitale Version der ehemaligen Darsteller verzichtet wurde und stattdessen lieber hier und da ein paar Lookalikes die Bühne betreten, und sich die finale Konklusion dann doch recht stimmig anfühlt (wenn auch nicht ganz frei von Logiklöchern).   

Fazit

Alles in allem macht „Doctor Sleep“ mehr richtig, als ihm so mancher im Vorfeld zugetraut hätte, und bietet dem Zuschauer eine angenehm schaurige, wenn auch manchmal etwas holprige Fahrt zu einem recht befriedigenden Ende. Allerdings schöpft der Film aufgrund einiger vermeidbarer Stolpersteine sein Potenzial nie vollkommen aus und kann deswegen auch zu keiner Zeit mit seinem Vorgänger ernsthaft mithalten.

Bewertung

7 von 10 Punkten

Bilder: (c) 2000-2019 Warner Bros.