von Cliff Brockerhoff
Kriegsfilme sehen sich heutzutage immer wieder mit dem Vorwurf der geschichtlichen Inkorrektheit konfrontiert, oder, dass Filmemacher gar das Leid Betroffener ausschlachten würden, um den Zuschauern einer kriegsfremden Generation die größtmögliche Unterhaltung bieten zu können. Dem zum Trotz erlebt das Genre gerade in den letzten Jahren eine Art cineastische Wiedergeburt, allerdings in abgewandelter Form.
Bombast und Blut weichen der Bodenständigkeit, so erschuf Christopher Nolan 2018 mit „Dunkirk“ beispielsweise einen (Anti)Kriegsfilm ohne Helden, und somit ohne Fixpunkt für den Betrachter, der nun ganz subjektiv über Moral und Recht entscheiden darf. Sam Mendes beschreitet in „1917“ ähnliche Pfade, verlagert das Geschehen weg vom Wasser mitten auf das Schlachtfeld und erzählt die fiktive Geschichte zweier junger Soldaten, die einen Angriff verhindern und so das Leben von knapp 1600 Mann retten sollen. Inspiriert wurde er dabei von den Erzählungen seines eigenen Großvaters, womit der eingangs erwähnte Vorwurf wenig Angriffsfläche finden dürfte. Das Besondere daran: Das Werk beinhaltet keinerlei sichtbare Schnitte und vermittelt durch diverse technische Kniffe den Eindruck, dass wir die Protagonisten in Echtzeit bei ihrem Auftrag begleiten.
Der ambitionierte Versuch, die verstecken Cuts zu zählen, fand ein jähes Ende, als sich früh das erste Highlight des Films ereignet und der Puls der Zuschauer mit einem Effekt in die Höhe gejagt wird, von dem heutige Horrorfilme nur träumen können. Ohne Umschweife wird erkennbar, welch technischer Sachverstand „1917“ zugrunde liegt, und welch immersive Wirkung er entfalten kann. Egal ob spannungsgeladene Wendepunkte oder ruhig inszenierte Momente des Innehaltens; die Atmosphäre ist zu jeder Zeit greifbar und überwindet oftmals die eigens auferlegten Grenzen der Vorstellungskraft.
Eingerahmt wird das Treiben in wunderschön aufgezogene Bilder, die Roger Deakins nach „Blade Runner 2049“ abermals in die Nähe der Oscars bringen sollten und die technisch mit so viel Finesse eingefangen wurden, dass das Bewusstsein sich gegenwärtig innerhalb einer gedachten Geschichte zu befinden mit Fortlauf der Zeit immer mehr schwindet. Wenn das Dunkel der Nacht einzig durch das gleißende Licht von feindlichen Leuchtfeuern durchschnitten wird, bewegt sich „1917“ optisch an der Endstufe der Genialität. Bei aller Liebe soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass einige Entscheidungen beziehungsweise Handlungsverläufe nicht zu 100% schlüssig sind. Berichtet Corporal Blake anfangs noch von einer „sechs bis achtstündigen Reise“, geht diese, trotz etwaiger Hilfsmittel, in Gänze doch zu schnell vonstatten. Hier bekämpfen sich die ultrarealistische Herangehensweise und das für das Sehvergnügen angepasste Drehbuch im Schützengraben, aus welchem zwangsläufig immer nur einer der Kontrahenten als Sieger heraustreten kann. So sehr die Inszenierung angepriesen werden kann, so hinderlich wirkt sie in manchen Momenten.
Übertönt wird die leise Kritik allerdings vom genialen Schauspiel seiner Akteure. Ähnlich wie Nolan setzt auch Mendes bei der Besetzung seiner Rollen auf den Typ Jedermann. Auch wenn es eine klare Abgrenzung zwischen Gut und Böse gibt, verzichtete Mendes beim Cast unter anderem auf Hollywood-Star Tom Holland, um zu erwirken, dass sich der Betrachter noch besser in die einzelnen Rollen hineinversetzen kann. George MacKay (unter anderem zu sehen in „Captain Fantastic“ oder „Das Geheimnis von Marrowbone“), spielt seinen Charakter dabei mit solch einer leidensfähigen Inbrunst, dass man dem Mann glatt abkaufen könnte, den Krieg selber durchlebt zu haben. Der restliche Cast beinhaltet mit Colin Firth oder Benedict Cumberbatch zwar auch bekanntere Namen, im Zentrum steht allerdings überdeutlich die Heldenreise der zwei jungen Lance Corporals, die in den knapp zwei Stunden Laufzeit mehr durchstehen müssen als manch einer Zeit seines Lebens. Krieg ist gnadenlos – dieser Tatsache blickt das Werk unentwegt ins Auge, auch wenn manche Passagen die Augenlider aufgrund ihrer Ereignislosigkeit zum Verschließen verleiten.
Fazit
Letztlich ist “1917” genau das geworden was Trailer und Marketing seit Monaten suggerierten; das Kriegsdrama agiert auf technischem Weltklasseniveau und überzeugt mit sogartiger Atmosphäre, fantastischem Tonschnitt und schauspielerischen Leistung zum Niederknien. Trotzdem stellt sich am Ende das Gefühl ein, dass die inszenatorische Versiertheit zu omnipräsent ist und sich zu selten der ansonsten schnell auserzählten Story unterordnet, die durchaus das Potenzial dazu besitzt den Zuschauer mit geballter Emotion zu übermannen. Damit gewinnt Mendes vielleicht einige Schlachten, wird den Krieg gegen die harte Konkurrenz bei den Oscars aber wahrscheinlich doch verlieren. Ab 16.1. im Kino.
Bewertung
8 von 10 Punkten
Bilder: ©Universal Pictures