Website-Icon Film plus Kritik – Online-Magazin für Film, Kino & TV

„Der schwarze Diamant“ („Uncut Gems“) – Kritik zum Netflix-Start

von Cliff Brockerhoff

Die Gebrüder Benny und Josh Safdie werden auf Anhieb, rein vom Namen her, noch den wenigsten ein Begriff sein. Obwohl die Zwei sich schon seit frühester Kindheit mit dem Medium Film beschäftigen, dauerte es doch bis ins Jahre 2017 bis beide dem Independent-Status entwuchsen und mit „Good Time“ erste, nennenswerte Reaktionen hervorrufen konnten. Nun, knapp drei Jahre später, soll mit „Der schwarze Diamant“ (Originaltitel: Uncut Gems) der ganz große Wurf gelingen. Mit an Bord: A24, Netflix und Adam Sandler.

Offiziell als Kriminalkomödie vermarktet, begleitet der Film den spielsüchtigen Howard Ratner auf seinem steinigen Weg, der mit Wettschulden, persönlichen Tragödien und immer wieder aufkeimender Hoffnung gepflastert ist. Die Abwärtsspirale scheint eine jähe Wendung zu nehmen als Howard plötzlich ein Edelstein von unschätzbarem Wert in die Hände fällt. Statt den Opal wie geplant gewinnbringend zu verkaufen und seiner Misere ein Ende zu setzen, überkommt ihn allerdings die Gier und er entschließt sich dazu sein Glück auszureizen. Fortan lässt sich die Spirale nicht mehr aufhalten und steuert ungebremst dem harten Boden der Tatsachen entgegen.

Stars im Überfluss – hier unter anderem zu sehen: NBA-Legende Kevin Garnett (links)

Die Besonderheit des Werkes lässt sich schon auf den ersten Metern klar definieren: anstelle eine kompletten Charakterstudie samt Aufstieg, Hochphase und dem langsamen Verfall wirft „Der schwarze Diamant“ seine Betrachter direkt mitten ins Chaos. Vorgeschichte und mögliche Erklärungsversuche werden geflissentlich ignoriert, sodass sich der Zuschauer von Beginn an den Problemen des vom Glück verlassenen Schmuckhändlers entgegensieht. Dies führt anfangs unweigerlich zu einigem Kopfschütteln, da manche Aktionen doch arg blauäugig wirken und es schwer fällt einen emotionalen Zugang zu finden – sobald sich aber die komplette Bandbreite der Situation offenbart, werden die Gedanken und Handlungen transparenter.

Dreh- und Angelpunkt ist dabei selbstverständlich Adam Sandler, der sich seit gefühlten hundert Jahren wieder an einer ernstzunehmenden Rolle versucht und seine Sache dabei erstaunlich gut meistert. Die innere Unruhe und ständige Gedankenflut transportiert Sandler glaubhaft nach außen, und auch wenn sein Charakter nicht ganz ohne blöde Sprüche auskommt, wirkt die Leistung reif und authentisch. Fast vergessen sind die Zeiten, in denen der US-Amerikaner als wahnsinniger Möchtegern-Friseur wild über die Leinwand gestikulierte. Doch das Lob muss auch mit einer Einschränkung versehen werden: von eine oscarreifen Performance ist Sandler immer noch weit entfernt. Auch wenn viele ihm diese vorab bescheinigten, handelt es sich doch „nur“ um eine sehr gute Leistung, die in Anbetracht der letzten Werke möglicherweise heller strahlt als sie tatsächlich ist.

Und so stolpert Howard Ratner von einem Unglück ins Nächste, immer wieder eingefangen von einer wackligen Handkamera, deren Bilder sich auf hektischen Klangteppichen niederlassen und nicht selten ein Ohnmachtsgefühl beim Zuschauer implizieren wollen. Insgesamt fällt auf, dass die Safdie Brüder einen ganz eigenen Stil kreiert haben, der, gerade bei Kennern von „Good Time“ auch im neuesten Werk sofort ins Auge fällt. Die rast- und ruhelose Inszenierung sorgt für inneres Unbehagen, und trotz einiger zu überladender Szenen inklusive unverständlichem Dialoggulasch, hält der Film diese Stimmung aufrecht und ist bei einer Gesamtlaufzeit von 135 Minuten erstaunlich kurzweilig. Angesichts der doch eher speziellen Thematik und Herangehensweise darf hier der imaginäre Hut gezückt werden.

Eine Achterbahn der Emotionen- „Der schwarze Diamant“ ist ein wahrer Gefühlsritt

Fazit

Auch wenn der deutsche Titel thematisch ebenso zum Film passt, bringt es der internationale Name des Werkes perfekt auf den Punkt – „Uncut Gems“ ist wie ein ungeschliffener Edelstein, an dessen Ecken und Kanten sich so mancher schneiden wird. Betrachtet man das Schmuckstück aber mit der nötigen Behutsamkeit aus der richtigen Perspektive, eröffnet sich der Blick auf ein funkelndes Juwel der neueren Filmgeschichte. Gerade gegen Ende spielt sich das Kleinod in einen wahren Rausch, tanzt  im gleißenden Licht der Hoffnung, nur um dann doch in tausend Teile zu zerspringen und dem Zuschauer den finalen Schlag in die Magengrube zu verpassen. Stark!

Bewertung

8 von 10 Punkten

Bilder: ©A24 / Netflix

Die mobile Version verlassen