von Cliff Brockerhoff

Viele der heutigen Filme erleiden das Schicksal einer irreführenden Vermarktung und manövrieren sich so, schon vor dem eigentlichen Start, selbst ins Aus. Ein noch viel häufiger auftretendes Phänomen ist die Preisgabe der kompletten Story im Trailer. Der neueste Netflix-Film namens „Horse Girl“ geht einen anderen Weg. Von Vermarktung nahezu keine Spur, und nach Sichtung des Trailers ist der interessierte Betrachter allenfalls genauso schlau wie vorher, geht es doch scheinbar um eine Frau, die eine besondere Beziehung zu ihrem Pferd hat. Und in die Zukunft sehen kann sie auch noch.

Die Rede ist von „Sarah“, einer eher introvertierten jungen Dame mit Hang zu trashigen Fernsehserien und albernen Fußkettchen. Wenn sie nicht im Handwerksladen Stoff an die Kundschaft verkauft, sitzt sie zumeist auf der heimischen Couch oder versucht krampfhaft soziale Kontakte beim Zumba-Kurs zu knüpfen. Auf den ersten Blick wirkt sie wie der typische Außenseiter, doch als ihre Mitbewohnerin sie erfolgreich mit einem Mann verkuppelt, taut Sarah auf. Was fünf Meilen gegen den Wind nach einer zahnlosen Indie-Komödie klingt, entwickelt sich fortan zu einem surrealen Ausflug in tiefgründige, fast schon philosophische Themen, die sich nicht einmal ansatzweise erahnen ließen.

Eine neue Liebe als Ausweg aus der Misere? Ein wenig probates Mittel…

Es ist schwer den Film zu beschreiben ohne zu viel vorwegzunehmen, allerdings sei an dieser Stelle versichert, dass Regisseur Jeff Baena mit „Horse Girl“ keine kitschige Pferderomanze abliefert, sondern vielmehr in den Abgründen der menschlichen Psyche gräbt und dabei, ganz nebenbei, mit Kritik an der zunehmenden Technologiesierung aufhorchen lässt. Statt Familienplanung beschäftigt sich seine Protagonistin, angefeuert von neu erlangtem Selbstbewusstsein, mit komplexen Verschwörungstheorien, dem steinigen Weg der Selbstfindung und der Frage, warum ihr Gefühl für das Raum-Zeit-Kontinuum zu schwinden scheint. Ihr Alltag wird mit Voranschreiten der Geschichte immer mehr von obskuren Vorfällen dominiert – als Sarah beispielsweise eines Morgens aus der heimischen Dusche steigt und sich nackt an ihrem Arbeitsplatz wiederfindet, scheint der Gipfel der Kuriosität erreicht. Doch der Schein trügt.

Gerade gegen Ende löst sich das Werk von sämtlichen Konventionen und gibt sich voll und ganz seiner Kreativität hin, wunderbar in Szene gesetzt und fantastisch gespielt von Alison Brie, der ihre Vulnerabilität und Verzweiflung in jeder Szene ins Gesicht geschrieben steht. Der geschickte, minimalistische Einsatz von Gestik und Mimik zeichnet ein authentisches Bild und verstärkt die Verkörperung einer jungen Frau, die den Bezug zur Realität zu verlieren scheint und den Plot doch mühelos auf ihren schmalen Schultern trägt. Ihr zur Seite gestellt wurden dabei eher semibekannte Akteure, von denen Molly Shannon noch am ehesten ein Begriff sein könnte. Im Endeffekt ist der restliche Cast aber auch zweitrangig, da Bries‘ Charakter der unbestreitbare Fixpunkt ist, mit dem der Zuschauer mitfiebern soll.

Lady Gaga wäre stolz – Sarah (Alison Brie) hat sich in Schale geworfen

Fazit

„Horse Girl“ lässt sich am Endes Tages am ehesten mit einem Rodeo vergleichen. Was als seichte und leicht zu unterschätzende Angelegenheit startet, entwickelt sich mit der Zeit zu einem wilden Ritt, bei dem es irgendwann kein Halten mehr gibt. Ein grandios unruhiger Score und die versierte Vermengung mehrerer Genres machen Jeff Baenas vierten Film zu einem kurzweiligen Abenteuer, dem sich allerdings nur aufgeschlossene Cineasten stellen sollten. Der ungeübte Couch-Reiter von heute läuft Gefahr vom Sattel zu fallen.

Bewertung

7 von 10 Punkten

Bilder: ©Netflix