Die Oscarverleihung 2020 förderte Erwartbares, aber in der Deutlichkeit doch Erschreckendes zutage: Und damit sind nicht die großteils nachvollziehbaren und begrüßenswerten Award-Entscheidungen gemeint (bis auf den Drehbuch-Oscar für Taika Waititis überschätzten „Jojo Rabbit“ statt Greta Gerwigs „Little Women“), sondern das Bild einer tief in der Krise steckenden „Traumfabrik“, die nicht recht weiß, wohin.

Kommentar von Christian Klosz

Hollywood präsentierte sich heute Nacht als kapitänloses Schiff, das irgendwo zwischen Nostalgie und plakativ zur Schau gestellter „Diversität“ im Ozean des Weltkinos umherschlingert, und von dem man noch nicht weiß, ob es langsam absaufen, auf einen Eisberg treffen und untergehen oder an einen neuen Hafen anlegen wird – oder ob man ihm den finalen Crash nicht sogar wünschen soll. Ein neuer Hafen könnten Streaminganbieter a la Netflix sein, das, zumindest was künstlerische Qualität betrifft, heuer eindeutig die Nase vorne hatte. Nur: Dem Netflix-Kino wurde erneut eine Absage erteilt. Ein Preis für „Marriage Story“, kein einziger für den zehnfach nominierten „Irishman“.

Stattdessen lud man einen fremden Schifftanker in die eigenen, trüben Gewässer und dekorierte ihn mit jeder Menge Trophäen – durchaus zurecht: Bong Joon Hos „Parasite“ steht für kluges, selbstbewusstes und anspruchsvolles Autorenkino – in bester New Hollywood-Tradition, nebenbei bemerkt – verbindet geschickt Genre mit Arthouse und erzählt originäre Geschichten, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Nicht umsonst verneigte sich Bong in einer seiner 3 Reden vor seinem Vorbild Scorsese, dem er folgerichtig den Zugang „the most personal is the most creative“ in den Mund legte, und damit aufzeigte, woran es im momentanen Hollywood-Mainstream am meisten fehlt: An eigenständigen, mutigen Filmemachern, die ihre Geschichten erzählen, kompromisslos und ohne Rücksicht auf Verluste. Greta Gerwig steht für solch einen Zugang, auch Noah Baumbach, Robert Eggers oder die Safdie-Brothers, gewürdigt wurden alle nicht dafür.

Die Show an sich zählte zu einer der schlechtesten der Award-Geschichte. Aus Angst davor, irgendwem auf die Füße zu treten, gab es wieder keinen Moderator, der die Veranstaltung mit Witz und Esprit geführt hätte (Ricky Gervais zum Beispiel kann das), die Beobachtung, dass die Nominierten nach legitimem Geschmack offenbar zu wenig „divers“ waren, suchte man nur allzu offensichtlich durch die Auswahl der Präsentatoren zu kaschieren, als würde man sich für die zuvor selbst getätigten Nominierungen schämen und sie am liebsten rückgängig machen. Spricht übrigens auch nicht gerade für ein selbstbewusstes, geeintes Hollywood, das stolz auf seine Leistungen des vergangenen Jahres zurückblickt. Es muss in diesem Kontext auch die Frage erlaubt sein, ob sich wirklich nur an der korrekten und paritätischen Auswahl der Nominierten ablesen lässt, ob die Nominierungen die „Richtigen“ sind, oder ob nicht auch Qualität weiterhin ein Faktor bleiben sollte: In letzter Konsequenz muss doch vollkommen egal sein, ob jemand schwarz, weiß, Latino, Mann oder Frau ist, solange die Leistung vor oder hinter der Kamera stimmt.

Was sagt uns das alles? Dass sich das „gute alte Hollywood“ immer tiefer in eine Krise befördert, aus der es selbst kaum noch herausfinden kann. Ein implizites Eingeständnis dieses Befundes ist die mehrfache Prämierung von „Parasite“ in vielen der Hauptkategorien, die zwar absolut nachvollziehbar und gerechtfertigt ist – doch zu Hochzeiten der großen, selbstbewussten Traumfabrik wäre undenkbar gewesen, einem Fremden die wichtigsten Meriten zu überlassen. Cineasten weltweit kann es egal sein: Das asiatische Kino strebt seit einigen Jahren und nicht nur durch Bong nach vorne und oben, Autorenfilmer weltweit liefern jährlich interessante Werke ab, und auch die Noah Baumbachs, Martin Scorseses oder David Finchers haben bei Netflix außerhalb des kaputten Hollywood-Studiosystems längst eine neue Heimat gefunden. Der Historiker Will Durant meinte einst sinngemäß „Eine überragende Kultur kann nicht von außen her erobert werden, so lange sie sich nicht von innen her selbst zerstört hat.“ Dem sollte man vielleicht nichts weiter hinzufügen.

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