von Cliff Brockerhoff
Wenn sich Cineasten über die deutschen Genrefilme der letzten Jahre unterhalten fällt zwangsläufig irgendwann der Name „Victoria“. Das 2015 erschienene Werk hob sich damals durch ein auffälliges Merkmal von der Masse aber, besteht es doch aus einer einzigen, langen Aufnahme. Zuletzt machte sich auch Hollywood diese Technik zunutze und brachte Altmeister Roger Deakins für seine Arbeit in „1917“ seinen zweiten Oscar ein. Nun, am Anfang der neuen Dekade, greift „Limbo“ (engl. für „Vorhölle“) diese spezielle Verfahrensweise auf und bietet knappe 90 Minuten ohne Cut, dafür aber mit einigen Überraschungen.
Die Story per se ist dabei schnell umrissen – Ana ist neu im Berufsleben, arbeitet im Kontrollwesen eines großen Finanzkonzerns und sprüht vor Elan. Als sie eines Abends, kurz vor Feierabend, auffällige Abweichungen in den Personalkosten entdeckt, kennen Besorgnis und Eifer keine Grenzen. Das Problem dabei; es ist Freitag, und kurz vor dem Wochenende möchte sich niemand so recht den Sorgen der jungen Compliance Managerin annehmen. Doch Ana lässt nicht locker, folgt ihrem Chef bis in sein Auto und findet sich plötzlich in einem Keller wieder, in dem illegale Kämpfe ausgerichtet werden. Und als wäre das nicht genug, trifft sie dort auch noch einen alten Bekannten, der sich seinerseits aus einem ganz anderen Grund im zweifelhaften Etablissement aufhält.

Rein thematisch siedelt sich „Limbo“ somit im Thriller-Genre an und weist die typischen Gangsterfilm-Attribute auf. Die Charaktere sind hierbei zwar nicht frei von Klischees oder mentalen Unzulänglichkeiten was ihr Handeln angeht, sind im Großen und Ganzen aber durchaus authentisch. Der Verlauf der Handlung entwickelt innerhalb seiner kurzen Laufzeit einen Sog, dem sich der Zuschauer nur schwer entziehen kann. Das liegt insbesondere an einer, in seiner Gesamtbetrachtung guten Leistung des Ensembles, der sich mit den technischen Schwierigkeiten des One-Take-Shots arrangiert und in jeder Szene das Bestmögliche rauszuholen versucht. Verglichen mit anderen deutschsprachigen Filmen kann „Limbo“ an dieser Stelle also schon mal ein Pluspunkt attestiert werden, auch wenn einen das Gefühl nicht loslässt, dass die Erzählung auch ohne diese technische Spielerei funktioniert hätte.
Vom Tempo her macht der Film von Anfang an keine Gefangenen, verzichtet auf eine großartige Einführung der Charaktere und wirft den Zuschauer unvermittelt und unvorbereitet ins Geschehen. Einige Dialoge erscheinen dabei nicht zwingend substanziell, aber auch nie komplett überflüssig, sodass sich die anderthalb Stunden kurzweilig anfühlen. Dem zugute kommt sicherlich auch die inszenatorische Freiheit die logische Schlüssigkeit dem Sehvergnügen unterzuordnen. Dass der Protagonistin ihr Anliegen wichtig ist, ist nachvollziehbar. Warum sie allerdings nach mehrmaliger Abweisung plötzlich in den Wagen des Chefs steigt und sich willenlos mit auf eine Reise nehmen lässt, die ihrem Anliegen überhaupt nicht zuträglich ist, muss der Zuschauer nicht zwingend verstehen. Diese Art der Entscheidung findet sich häufiger wieder und lässt das ein oder andere Fragezeichen über dem Kopf schweben – ist der Betrachter allerdings in der Lage sich der immersiven Wirkung hinzugeben und den leicht überzeichneten Charakteren ihre menschlichen Schwächen zuzugestehen, weiß Tim Dünschedes Langspielfilmdebüt zu unterhalten.

Fazit
Als Anspielung auf die allgemein bekanntere Assoziation zum Titel kann „Limbo“ die Messlatte für das deutsche Kino der Neuzeit zwar nicht in unerschwingliche Höhen katapultieren, überspringt das Niveau anderer Emporkömmlinge aber ohne große Mühen. Wer sich mit dem eher speziellen Thema, fachspezifischen Dialogen und verschrobenen Charakteren anfreunden kann, sieht sich einem technisch versierten Werk gegenüber, das wieder mal zeigt, dass die Vorurteile gegenüber deutschen Filmen oftmals ein Luftloch schlagen. Einzig die durchaus vorhandenen Löcher in der Logik verhindern eine höhere Wertung.
Wertung
6 von 10 Punkten
Bilder: ©NORDPOLARIS