Ein  großes Filmfestival wie die Berlinale bietet Publikum, Branchenfachleuten und Filmjournalisten die Chance, sich mit neuen Filmen aus der ganzen Welt vertraut zu machen. Nicht nur das: Die vielen Pressekonferenzen bieten die Möglichkeit, die Künstler/innen hinter den Werken besser kennen zu lernen, ihre Motive zu verstehen, aber auch kritische Fragen zu stellen. Allgemein findet das in einem respektvollen Setting statt.

Kommentar von Christian Klosz

Das Auftreten einiger Kolleg/innen bei der diesjährigen Berlinale lässt sich aber nur als „sehr fragwürdig“ beschreiben: Wer seinen Fragen durch Suggestion die gewünschten Antworten bereits vorab einlagert, hat nicht nur seinen Beruf nicht verstanden, sondern verhält sich im höchsten Maße respektlos gegenüber den Künstler/innen. Im folgenden einige Beispiele von der heurigen Berlinale:

Beispiel 1:

Eine US-Kollegin hatte bei der Pressekonferenz zu „Time to hunt“ nichts Besseres zu tun, als den südkoreanischen Regisseur Yoon Sung-Hyun und seinen Cast danach zu fragen, was diese über Donald Trumps (zugegeben höchst ignorante) Aussagen über den Oscar-Sieg Bong Joon-Hos denken. Nachdem Regisseur Yoon eigentlich über seinen neuen Film reden wollte, ignorierte er die Frage zuerst mit asiatischer Höflichkeit, und beantwortete eine andere. Doch die Kollegin ließ nicht locker: „Was denken sie über Trump?!“, insistierte sie, da sie offenbar nicht verstanden hatte. dass der Befragte darüber nichts sagen möchte. Der sah sich nun gezwungen, doch zu antworten: Natürlich seien die Aussagen Trumps engstirning, aber er sei weder Bong Joon-Ho, noch Donald Trump, und wisse nicht, was er dazu sagen solle, und außerdem sei er der Meinung, dass man nicht jede Äußerung Trumps rasend ernst nehmen müsse. Nicht die Antwort, die die US-Kollegin gern gehört hätte, aber eine schöne Lektion darin, dass US-Befindlichkeiten nicht alles auf der Welt sind, und sich Filmemacher aus dem „Ausland“ auch mit anderen Dingen befassen (wollen), als mit Trump-Irrsinn.

Beispiel 2:

Hillary Clinton war in Berlin, um eine Serie vorzustellen, die sich ihrer Person widmet. Die erste Frage einer US-Kollegin an sie bei der PK lautete dennoch: „Was sagen sie dazu, dass Harvey Weinstein verurteilt wurde?“. Was genau das mit dem eigentlichen Thema der Pressekonferenz und der Clinton-Serie zu tun hat, müsste man die Kollegin fragen, ich weiß es nicht. Clinton antwortete knapp und folgerichtig mit „Das Urteil spricht für sich“, und sagte sonst nichts weiter dazu. Verständlich, was sollte sie auch sonst sagen? Dass sie das Urteil begrüßt? No na. Dass sich ein Fall Weinstein nicht wiederholen soll? Ja, eh. Verschenkte Zeit, in der man auch Fragen zur neuen Serie hätte stellen können.

Beispiel 3:

Den Vogel bezüglich Überheblichkeit, Arroganz und Respektlosigkeit schoss eine deutsche Kollegin bei der Pressekonferent zu „DAU. Natasha“ ab. Das geheimnisumwitterte Projekt wirft viele Fragen auf, und einige Kolleg/innen stellten solche auch mit der gebotenen Vorsicht und dem nötigen Respekt vor den Künstern und ihrer Arbeit – die auch bereitwillig Auskunft gaben. Die betreffende Kollegin hatte gleich 3 Fragen an das Team, die sich in ihrer Dreistigkeit steigerten: Die deutsche Produzentin fragte sie vorwurfsvoll, wie sie denn dazu gekommen sei, so ein Projekt finanziell zu unterstützen, vom Regisseur wollte sie wissen, was denn die Aussage „Die Macht der Bilder“ für ihn bedeute, und dann setzte sie noch einen drauf: Als Co-Regisseurin von „DAU. Natasha“ gilt gleichberechtigt mit Initiator Ilya Khrzhanovsky Jekaterina Oertel. Sie war, so erzählte man, im Laufe des Drehs zum Regie-Team gestoßen, und ist auch an weiteren Filmen des Projekts beteiligt. Die deutsche Kollegin meinte nun sinngemäß, wie und wo sie die Arbeit Oertels denn bitte nachvollziehen könne, da sie ja nur aus dem Make-Up komme, und vor diesem Projekt nichts Erwähnenswertes gemacht habe (Anm.: Oertel hatte unter anderem an den Filmen „Lola Rennt“ und „10.000 BC mitgegearbeitet). Offenbar wollte die freche Journalistin entweder die Profession der Make Up-Artisten und Maskenbildner entwerten, oder unterstellen, Oertel sei eine Alibi- und Quotenfrau, die nichts zum Film beigetragen hätte. Dümmer, arroganter und selbstgerechter geht nimmer. Die Betroffene antwortete ruhig und sachlich, dass die Journalistin ihre Arbeit gerne auf der Leinwand nachvollziehen könne, bei diesem Film, und bei 6 weiteren folgenden des DAU-Projekts. Ob diese der Empfehlung nachkommen wird, ist äußerst fraglich.

Warum ist das alles von Bedeutung? Da ernsthafter Journalismus objektiv zu agieren hat, und nicht von vorgefertigten Tatsachen und Meinungen ausgehen kann, zwar immer kritisch sein soll, aber die Aussagen der Akteuere ernst nehmen und mit Respekt zu behandeln hat. Denn kritisch zu hinterfragen ist nicht dasselbe, wie Künstlern die eigene Wahrnehmung in den Mund zu legen oder sie deren Werk überzustülpen.

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Titelbild: (c) Ronny Heine / Berlinale 2020