Die Möglichkeit, Glücksgefühle durch stetes Gießen regelrecht hervorsprießen zu lassen und einfach so bei sich zu Hause zu „züchten“? Das klingt erstmals utopisch, aber genau das ist die Prämisse von Jessica Hausners neuem Films „Little Joe“. Die österreichische Regisseurin, die bereits mit ihren Filmen „Lovely Rita“, „Hotel“ und zuletzt mit „Amour Fou“ brillierte, drehte hier erstmals in englischer Sprache und erschuf eine streng komponierte Filmwelt mit sanft ironischem Tonfall. Bei den Filmfestspielen in Cannes lief sie mit „Little Joe“ erstmals im Wettbewerb, im Rahmen der diesjährigen Diagonale hätte Hausners Œuvre in der Programmschiene „Zur Person“ besondere Aufmerksamkeit erhalten. „Little Joe“ ist nun im Rahmen des „Online-Festivals“ auf Flimmit zu sehen.

von Elli Leeb

Alice (Emily Beecham) ist leidenschaftliche Biologin und gleichzeitig alleinerziehende Mutter. Im Rahmen ihres Fachgebiets – der grünen Gentechnik – entwickelt sie gemeinsam mit ihren Geschäftspartner Chris (Ben Whishaw) eine purpurrote Pflanzenart, die die Menschen glücklicher stimmt. Durch Wärme, ständiges Gießen und nicht zuletzt durch stetes Sprechen zu der Pflanze sendet diese einen genetisch modifizierten Duft aus, der glücklich macht, sowie das Hormon Oxytocin, welches ansonsten dafür sorgt, dass Mütter ihre Neugeborenen lieben; benannt wird sie „Little Joe“ – nach Alices kleinem Sohn. Diesen Pflanzen ist es nicht möglich, sich auf natürliche Art und Weise fortzupflanzen. Stattdessen bestäuben sie beziehungsweise „infizieren“ die Menschen, die sie einatmen. Je mehr Leute Little Joes Pollen einatmen, umso mehr stellt sich die Frage, ob sie sie nun wirklich nur mit Glück infizieren oder doch gar schwerwiegende Persönlichkeitsveränderungen in den Menschen evozieren. Auch Alices Sohn Joe (Kit Connor), der sich zu Beginn des Films noch bestens mit seiner Mutter versteht, kehrt sich immer mehr von ihr ab. Oder handelt es sich hierbei doch nur um ein klassisch pubertäres Verhalten?

Hausner versteht sich gut darin, ihrem Publikum ambivalente Signale zu senden. Sie fordert Sehgewohnheiten heraus und setzt es sich zum Ziel, die Zuseher/innen aus einer passiven Konsument/innen-Haltung herauszuholen. Kamerapositionen relativieren immer wieder den Blickpunkt, von dem aus der Plot erzählt wird, indem die Kamera auf die handelnden Figuren zufährt, aber im entscheidenden Moment dann doch einfach an ihnen vorbeifährt und stattdessen das Fenster im Hintergrund fokussiert. So hinterfragt man stets Gesehenes und ist sich zudem nie so recht sicher, was nun der Wirklichkeit entspricht.

Außerdem bedient sich Hausner in „Little Joe“ ein weiteres Mal ihres gewohnt strengen Kompositionsstils. Bereits die Einführungssequenz im Forschungslabor ist beeindruckend. Die Kamera gleitet in einer langsamen Kreisbewegung aus der Vogelperspektive über die unzähligen Pflanzen, die in satter, roter Farbenpracht erblühen. Wie sich später herausstellt, repräsentieren derartige Kameraeinstellungen die Bewegung einer Überwachungskamera, die auch gleichzeitig als Metapher verstanden werden kann. Auch abgesehen davon sind Hausners Bildwelten präzise durchkomponiert, klinisch kühl, gepaart mit monochromen, satten Pastellfarben. Dabei sticht die Signalfarbe Rot – die auch schon in Hausners anderen Filmen eine tragende Rolle spielte – umso stärker und ständig den Betrachter/innen in die Augen.

Am beeindruckendsten ist allerdings der Soundtrack, der auf Werken des japanischen Avantgarde-Komponisten Teiji Ito aus den frühen 1970er Jahren basiert. Metallische Klänge, Tinitusfiepen und laute schrille Töne dominieren und fügen den doch sehr ruhigen, langsamen Kameraeinstellungen etwas überaus Unheimliches hinzu.

Auch wenn der Film auf der Oberfläche thematisch von genetisch modifizierten Pflanzen handelt, die ihre Samen in Menschen ausstreuen und so langsam zum Mittelpunkt jedes menschlichen Individuums werden, lässt „Little Joe“ im Subtext unzählige Interpretationen zu. So wirft der Film viele Fragen auf und macht Problematiken sichtbar: Was macht überhaupt einen Menschen aus? Weiters Fragen zu intrinsischen Lebenserfahrungen von Frauen, zum Muttersein an sich und nicht zuletzt wird subtil das in Frage stellen der Instinkte und Aussagen von Frauen, die immer noch viel zu häufig angezweifelt beziehungsweise abgetan werden, thematisiert.

Fazit

Jessica Hausner spielt in „Little Joe“ mit Prinzipen der Täuschung und der Wahrheit. Das Unheimliche tritt dabei nur subtil zum Vorschein, ist dabei aber trotzdem nicht weniger intensiv erfahrbar. Die präzise komponierten Bildwelten, gepaart mit den metallenen, schrillen Klangteppichen, prägen sich ein und bleiben in Erinnerung. Am Ende bleibt viel Zeit und Raum zur Interpretation.

Rating

80/100

Bilder: © coop99/The Bureau Essential Films