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„Betonrausch“ – Kritik zum Netflix-Start

von Cliff Brockerhoff

Meterlange Lines aus Kokain, entblößte Brüste und ein Löwenkopf aus Marmor – mittendrin: zwei junge Geschäftsmänner, die es sich bei laut wabernder Musik in der Gesellschaft hübscher Damen gut gehen lassen. Der Alkohol fließt in Strömen, doch auf jeden Rausch folgt zumeist der morgendliche Kater. So auch in diesem Fall, doch anstelle von Kopfschmerzen und Übelkeit betritt die Polizei die Szenerie und setzt der am Vorabend noch so ausufernden Party ein jähes Ende. Doch es ist nicht das Ende von „Betonrausch“, sondern gerade erst die Handlung der ersten zwei Minuten.

Nach „Isi & Ossi“ präsentiert Netflix nun innerhalb kürzester Zeit seine zweite, deutsche Spielfilmproduktion, wirft den Zuschauer allerdings dieses Mal nicht in eine Liebeskomödie und präsentiert sich stattdessen als light-version von „The Big Short“, bei der Hollywood-Schönheit Margot Robbie 2015 in einer Badewanne über das labile Finanzsystem referierte. Man tausche Robbie gegen Janina Uhse, streiche gleichzeitig Christian Bale aus seinem Gedächtnis, ersetze ihn mit David Kross und behalte im Hinterkopf, dass es sich um keine hochglanzpolierte US-Produktion handelt – schon hat man die Eckpfeiler beisammen und kann erahnen, was in den folgenden 90 Minuten auf einen zukommt.

Baden wortwörtlich im Erfolg – Gerry, Viktor und Nicole

Ganz so mittelprächtig wie diese Zeilen nun anmuten mögen ist „Betonrausch“ allerdings gar nicht geworden. Dem Film ist von Anfang an anzumerken, dass er die typisch deutschen Stilmittel zu umschiffen versucht. Kranken die Produktionen oft an schlecht abgemischtem Sound oder Schweiger’schen Albernheiten, setzt Regisseur Cüneyt Kaya auf eine druckvolle Akustik und schafft es mittels technischer Spielereien sich des Eindrucks eines weiteren, semitalentierten Emporkömmlings zu erwahren. Zeitlupen, harte Schnitte und groß aufgezogene Brüste – pardon – Bilder bieten etwas für das Auge des Betrachters, auch wenn einen zeitweise das Gefühl beschleicht, dass das Werk sich ein bisschen zu sehr an eingangs erwähnten „Vorbild“ oder etwa auch einem „The Wolf of Wall Street“ anbiedert. Doch worum geht es eigentlich genau?

Vereinfacht formuliert erzählt „Betonrausch“ die Geschichte zweier Männer, die durch eine Mischung aus fachlichem Geschick und fieser Dreistigkeit den Sprung ins Immobiliengeschäft schaffen und sich fortan immer weiter nach oben arbeiten. Was mit der Vermietung von Penthouse Wohnungen an bulgarische Gastarbeiter beginnt, gipfelt in der Gründung einer eigenen Bank auf Malta um sich selber Geld zu leihen. Viktor und Gerry, so die Namen der Protagonisten, fungieren dabei als gegensätzliches Duo. Während Viktor den Saubermann aus gutem Hause mimt, der durch ein kindliches Trauma nun seinen eigenen Weg nach oben bestreitet und dabei auch gerne mal den netten Herren von nebenan um seine Rente bringt, ist es an Frederick Lau in der Rolle des „Gerry“ für die aberwitzigen Momente zu sorgen. Dies funktioniert insofern gut, als dass David Kross als „Viktor“ das perfekte Gesicht für seinen Charakter besitzt und Lau, auch wenn er immer so wirkt als wenn er gerade drei Valiumtabletten mit zwei Flaschen Whiskey inhaliert hätte, den durchgeknallten Draufgänger glaubhaft verkörpern kann.

Die Chemie zwischen den beiden stimmt also und durch sein durchweg hohes Erzähltempo ist das Amüsement gewährleistet. Selbst den fachfremden Zuschauern wird das Konzept der Blender immer wieder mundgerecht serviert. Mit Hilfe seines Aufbaus und der Einleitung mit dem Ende des Films inszeniert Kaya das Werk quasi retrograde und lässt Viktor die Geschichte rückblickend erzählen, beziehungsweise erklären. Hier haben sich die Macher im Vorfeld sichtlich Gedanken gemacht, nicht zuletzt auch darüber, wie zwischen großen Zahlen und kriminellen Machenschaften für Spaß gesorgt werden kann. Sämtliche Edelhuren heißen „Chantal“, es gibt Anspielungen auf typisch deutsche Themen wie etwa König Fußball und auch die bulgarischen Gastarbeiter dürfen eine Party samt Hühnern und Schafen feiern. Ganz ohne Klischees geht es nicht; unterhaltsam ist das jedoch allemal, der letzte Biss fehlt trotzdem. Dafür ist die Hintergrundgeschichte von Viktor zu gezwungen rührselig, das Ende zu absehbar und die Story qualitativ einfach nicht in der Lage in einer Liga mit seinen Archetypen mitzuspielen. Wer allerdings ernsthaft geglaubt hat, dass ein Leonardo DiCaprio oder Budgets in dreistelliger Millionenhöhe so einfach zu ersetzen sind, ist nicht minder leichtgläubig wie die Kandidaten, die den Betrügern in der fiktionalen Welt auf den Leim gehen.

Die Fassade bröckelt – Viktor (David Kross) nach dem Platzen der Blase

Fazit

Letzten Endes macht „Betonrausch“ mehr richtig als falsch – wer sich generell für das Thema erwärmen kann bekommt mit der Netflixproduktion einen leicht verdaulichen Thriller zu Gesicht, der durch gute schauspielerische Leistungen und fundierte Recherche einen glaubwürdigen Blick in den Alltag von Immobilienspekulanten wirft, die im Treibsand ihrer eigenen Aktivität gefangen sind. Damit lässt sich zwar keine Stellung in den Jahrescharts zementieren, ein stabiles Fundament kann dem deutschen Spielfilm aber nicht abgesprochen werden.

Bewertung

6 von 10 Punkten

Bilder: ©Netflix

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