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„Swallow“ – Kritik

von Cliff Brockerhoff

Kontrolle. Ein Begriff, der zweideutiger nicht sein könnte, beschreibt er doch auf der einen Seite das Gefühl von Macht über das eigene Handeln, kann aber gleichzeitig negativ, im Sinne einer Überwachung ausgelegt werden. Viele sehen die Kontrolle über das eigene Leben als selbstverständlich an, doch was löst der Verlust ebenjenes Privilegs im Zusammenspiel mit der beginnenden Kontrolle durch Andere in einer Person aus? Mit diesem Gedankenspiel befasst sich „Swallow“, der trotz seines prägnanten Titels rein gar nicht mit einem erotischen Liebesfilm zu tun hat, auch wenn die Liebe eine tragende Rolle spielt.

Genauer gesagt die Liebe zwischen „Hunter“ und „Richie“, einem durch seinen Erfolg gut situierten Pärchen, das neben finanziellem Reichtum nun auch die Vollkommenheit des persönlichen Glücks erwartet, da die Dame des Hauses in Umständen ist und sich, eben aufgrund der Lage, voll und ganz auf die Schwangerschaft konzentrieren kann. Für einige sicherlich eine absolute Wunschvorstellung, doch Hunter ist mehr und mehr gelangweilt von ihrem Leben und versucht den schleichend eintretenden Kontrollverlust zu kompensieren. Unglücklicherweise wählt die hübsche Blondine ein eher ungewöhnliches Hobby, womit wir wieder beim Titel des Werkes angekommen wären.

Mehr Schein als Sein – Hunter im Kreise ihrer „Familie“

Simultan zu ihren unterdrückten Gefühlen beginnt Hunter nämlich Gegenstände zu schlucken. Gegenstände, die bei der bloßen Vorstellung Ekel oder zumindest ungläubiges Stirnrunzeln hervorrufen. Angefangen bei einer Murmel, über die Seiten ihrer Abendlektüre bis hin zu Kieselsteinen oder Büroklammern – das unter dem Pica-Syndrom bekannte Krankheitsbild schlägt voll zu und gefährdet nicht nur die Gesundheit der Erkrankten, sondern auch die des ungeborenen Kindes und vor allem die der Beziehung. Während andere Schwangere sich zum Genuss von in Schokosoße getauchten Essiggurken hinreißen lassen, nimmt der Pikazismus immer krassere Auszüge an, was natürlich nicht lange unbemerkt bleibt.

Fortan entwickelt sich eine langsam, aber intensiv erzählte Geschichte über die Tiefen einer amourösen Liaison. Das Verhalten der werdenden Mutter stößt insbesondere dem Ehemann sauer auf, der immer darauf bedacht ist den Schein einer perfekten Beziehung zu wahren. Doch der Schein bröckelt spürbar und schlägt sich in Streitgesprächen und einschränkenden Maßnahmen nieder, sodass Hunter quasi das Gegenteil von dem erreicht, was sie eigentlich intendiert hatte. Die Kontrolle über das eigene „Essverhalten“ führt zur kontrollierenden Überwachung, und Haley Bennett, die den meisten eher aus Nebenrollen bekannt sein dürfte, ruft als Protagonistin eine absolut überzeugende Leistung ab. Gefühle sind ihr, trotz spärlicher Dialoge, zu jeder Zeit ins Gesicht geschrieben und der Zuschauer leidet mit der gepeinigten Gemahlin. Selbst wenn ihre Kompensation für Außenstehende wenig Sinn ergeben mag, sind ihre Motive stets klar. Als sich dann auch noch ein tiefschwarzes Kapitel ihrer Vergangenheit offenbart, avanciert Bennett endgültig zur Sympathieträgerin.

Beim Verfassen dieser Zeilen wird noch einmal deutlich, welch besonderes Werk „Swallow“ geworden ist. Nicht nur, dass die Geschichte es schafft ein seltenes Krankheitsbild adäquat in die Erzählung einzubauen, nein; es mangelt während der anderthalb Stunden auch nicht an Spannung oder Emotion. Keine große, überladende und sich in Schreikrämpfen entladende Emotion – es sind eher die Blicke, Gesichtszüge oder Kleinigkeiten, die das Innenleben der Protagonisten nach außen kehren. Eingefangen in sehr sterilen, starren Bilder besticht der erste Langspielfilm aus der Feder von Carlo Mirabella-Davis durch eine glasklare Optik, satte Farben und dezent pointierter Akustik. Wo andere Filme ihr Aussehen für die Kaschierung erzählerischer Schwächen nutzen, ergänzen sich Inhalt und Verpackung zu einem großen Ganzen, das bei einem Mindestmaß an Einfühlungsvermögen nur schwer verdaulich ist.

Bildsprache par excellence – Hunter (Haley Bennett) in Gefahr

Fazit

„Swallow“ ist einer dieser Filme geworden, die wohl niemals Anklang bei der großen Masse finden werden. Dafür ist das Thema zu speziell, der Cast zu frei von ganz großen Namen und die Vermarktung zu unauffällig. Wer sich aber selbst als Fan von ergreifendem Genrekino betitelt, muss dieses Werk unbedingt auf der Agenda haben, das konträr zu seinen bewegungsarmen Bildern eine bewegende Geschichte über die Katharsis einer jungen Frau erzählt, nach dessen Sichtung man erst mal selber schwer schlucken muss.

Bewertung

8 von 10 Punkten

Wer Interesse an einer Sichtung hat, kann den Film bisher nur im Programm ausländischer Streamingdienste (z.B. Amazon Prime US) begutachten. Ein Kinostart im deutschsprachigen Raum war für den Sommer 2020 anberaumt, wird sich aufgrund der aktuellen Lage voraussichtlich aber auch verschieben. So oder so: Vormerken!

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