Vor kurzem wurde bekannt gegeben, dass die Kinos in Österreich ab 1. Juli öffnen dürfen: Zuvor war Ende August als Datum kolportiert gewesen. Ein Aufatmen ging durch die Branche, aber Klarheit herrscht vielerorts immer noch nicht, die Vorgaben sind bisher zu vage, und Kinos brauchen auch Filme, die sie zeigen können, damit sich die Wiedereröffnung lohnt.

Film plus Kritik hat daher Michael Stejskal zum Interview gebeten. Stejskal ist Geschäftsführer des österreichischen Verleihs Filmladen, leitet das Votivkino und das De France und ist außerdem Obmann des österreichischen Verleiherverbandes.

(Anm.: Das Interview wurde am 12.5. vor den Ankündigungen der Regierung zur Kinoöffnung geführt. Es fand telefonisch statt.)

von Paul Kunz

Film plus Kritik: Guten Morgen – als erstes würde ich Sie gerne fragen, ob Sie etwas darüber wissen, wann wieder mit Kinoöffnungen zu rechnen ist?

Michael Stejskal: Nein, darüber weiß ich nichts. Ich gehe davon aus, dass es nach Ende Juni der Fall sein wird. Meine Vermutung ist, dass dieses Veranstaltungsverbot nicht verlängert wird, sondern dass es eine Verordnung geben wird, in der vorgeschrieben wird, welche Maßnahmen für Veranstaltungen einzuhalten sind – wie die Menschen sich zu verhalten haben. Ich habe da keine Informationen, aber das wäre für mich das Logische.

Film plus Kritik: In anderen Branchen werden die Betriebe ja inzwischen wieder hochgefahren, beim Film herrscht noch Stillstand. Viele Menschen, die in der Filmbranche arbeiten, fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen. Empfinden Sie das auch so?

Michael Stejskal: Ich weiß nicht, ob „im Stich gelassen“ die richtige Formulierung ist. Aber über den gesamten Kultur- und Veranstaltungsbereich wird man sich noch Gedanken machen müssen, weil das sicher der Bereich ist, der am längsten eingeschränkt sein wird und weil er zu jenen Bereichen gehört, die am stärksten leiden werden – auch längerfristig.

Film plus Kritik: Was wünschen Sie sich jetzt von der Regierung?

Michael Stejskal: Regierungsseitig wäre ein bisschen Gedankenarbeit, wie das insgesamt weitergehen kann und wie man dem ganzen Veranstaltungsbereich unter die Arme greifen kann, sicher nicht das Schlechteste. In anderen Ländern gibt es das ja: in der Schweiz sind 280 Millionen Franken speziell für Kulturveranstalter zur Verfügung gestellt worden, um während der nächsten Monate zu helfen. Es ist ja nach Ende des Lockdowns für uns nicht ausgestanden.

Film plus Kritik: Unter welchen Bedingungen wäre es für Sie überhaupt denkbar die Kinos wieder aufzusperren?

Michael Stejskal: Ursprünglich waren ja 20m² pro Person im Gespräch, dann 10m² – ich glaube, das ist vom Tisch, weil jedem klar ist, dass das nicht geht. Es sollte jedenfalls jedem klar sein. Und ich denke, auch bei der Politik ist angekommen, dass ein rentabler Betrieb damit nicht möglich ist. Und es gibt ja auch einen Unterschied zwischen Menschen, die sich bewegen, die zum Beispiel in einem Geschäft hin- und hergehen und Menschen, die fix auf einem Platz sitzen. Sollte an diesen 10m² pro Person festgehalten werden, könnte kein Veranstaltungsbetrieb aufsperren, denke ich.

Michael Stejskal, Geschäftsführer des Filmladen (Foto: privat)

Film plus Kritik: Wie sieht es mit einer Maskenpflicht aus?

Michael Stejskal: Es wird wohl so sein, dass man sie beim Betreten, Verlassen oder bei der WC-Benützung tragen wird müssen. Schwer vorstellbar ist aber, dass man die Maske zwei bis zweieinhalb Stunden, wie lang der Film eben dauert, vor dem Gesicht haben muss. Ich glaube einfach nicht, dass das irgendjemand machen will. Das würde einen Veranstaltungsbetrieb – und es geht ja nicht nur um Kinos – ziemlich verunmöglichen. Es wäre nicht praktizierbar, weil die Leute die Maske im Dunkeln ja runternehmen können und ich spiele bestimmt nicht den Polizisten, der die Leute auffordert, die Maske wieder aufzusetzen. Das stört ja außerdem auch die Vorstellung, also das wäre völlig absurd. Aber egal welche Restriktionen von außen noch kommen: Der Alltag, der auf uns zukommt, wird wohl oder übel komplizierter und teurer. Alle Veranstalter haben sicher reduzierte Zuschauerzahlen – allein durch die Beschränkungen. Dazu kommen reduzierte Einnahmen aus Werbung und Sponsoring, aus dem Buffetbetrieb… Das ist ein Rattenschwanz an Dingen, die da folgen. Und dazu kommen höhere Kosten, um die zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen zu administrieren.

Film plus Kritik: Zahlreiche Kinopremieren wurden abgesagt, viele auf unbestimmte Zeit verschoben. Was bedeutet das für die Kinos, wenn diese wieder aufsperren? Sind neue Filme dann Mangelware oder gibt es erstmal einen Überschuss?

Michael Stejskal: Da wird es Wellenbewegungen geben. Sehr stark wird es davon abhängen, wann in Deutschland die Kinos flächendeckend wieder aufsperren, weil wir sehr stark mit dem deutschen Markt verbunden sind und die meisten Filme über Deutschland nach Österreich kommen. In Deutschland gibt es aber regional unterschiedliche Regelungen. Und die Verleiher werden ihre Filme sicher erst dann starten, wenn zumindest in einem Großteil Deutschlands die Kinos wieder offen sind. Voraussichtlich gibt es also zunächst einen Mangel, dann Rückstau und dann wieder Mangel. Und es gibt ja im Moment nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten Filme zu verkaufen und zu kaufen. Man darf auch nicht vergessen, dass viele Filmproduktionen abgebrochen werden mussten – irgendwann im nächsten Jahr wird also die Produktion eines halben Jahres fehlen.

Film plus Kritik: Viele als Kinostarts angekündigte Filmstarts wurden auf Streaming-Plattformen verschoben, Universal hat angekündigt Filme künftig vermehrt gleichzeitig ins Kino und ins Internet zu bringen. Was denken Sie, hat das für Konsequenzen für die Kinos?

Michael Stejskal: Ich hoffe natürlich, dass das Beispiel Universal keine Schule macht. Oder dass Universal zur Vernunft kommt, beziehungsweise von den Kinos zur Vernunft gezwungen wird. Aber das ist schwer vorherzusagen. Mittelfristig mache ich mir ums Kino keine Sorgen, weil ich schon glaube, dass Corona den Menschen jetzt auch vor Augen geführt hat, wie unverzichtbar es ist, gemeinsam mit anderen Menschen ein Kulturereignis zu erleben. Es ist eben ein Unterschied ob ich Tag für Tag in den eigenen vier Wänden hocke und irgendetwas streame, oder ob ich mich hinausbewege und gemeinsam mit Gleichgesinnten in einem Erlebnisraum sitze. Mein Eindruck ist, dass den Leuten das Streaming inzwischen ziemlich zum Hals raushängt, weil sie jetzt eine Überdosis davon hatten. Das wird sich natürlich wieder einpendeln, aber grundsätzlich haben die Menschen gesehen, dass kulturelle Erlebnisräume unverzichtbar sind. Und ich muss nochmal betonen: Das Kino ist hier nicht allein, es betrifft ja Kabarett, Theater und andere Veranstaltungsräume genauso.

Film plus Kritik: Das heißt, Sie denken nicht, dass Corona die Kinolandschaft und die Art wie wir Filme ansehen, nachhaltig verändern wird?

Michael Stejskal: Überhaupt nicht. Dieser Hausarrest, unter dem alle standen, wird zwei Folgewirkungen haben. Zum einen wurden Leute ans Streaming herangeführt, die es vorher nicht benutzt haben. Die Streaming-Plattformen haben sich damit ein neues Publikum erschlossen. Gleichzeitig – ich muss es nochmal sagen – hängt es den Leuten inzwischen zum Hals raus und sei dürsten danach zur Normalität zurückzukehren. Und zwar nicht zur „neuen Normalität“, die keine ist, sondern zur Normalität, wie wir sie vorher kannten. Mit großer Freude werden sich die Leute ihr altes Leben zurückerobern, denn das neue Leben ist mit dem alten nicht vergleichbar.

Film plus Kritik: Ganz unabhängig von der aktuellen Situation: Was bedeutet die Zunahme von prestigeträchtigen Streaming-Produktionen für Sie als Filmverleiher und als Kinobetreiber?

Michael Stejskal: Als Filmverleiher bedeutet das für mich eigentlich gar nichts. Das ist in Österreich sehr selten, die VOD-Rechte internationaler Produktionen haben wir zum Beispiel gar nicht, die bleiben meistens in Deutschland. Für mich bedeutet das ökonomisch also kein neues Geschäftsfeld. Ich glaube auch bei Corona beobachtet zu haben, dass Serien eher als Filme eine Streaming-Domäne sind. Prophet ist keiner aber mein Gefühl ist, dass die Leute beim Streaming noch mehr in Richtung Serien gehen und sich die prestigeträchtigen Projekte im Kino ansehen, sofern sie das Gefühl haben, der Film ist gut genug um außer Haus zu gehen und ein Ticket zu kaufen. Wahrscheinlich wird der Bewertungsmaßstab des Publikums ein strengerer werden: im Arthouse-Kino die Qualität und im Mainstream-Kino die Unterhaltung. Ist es das wert, dass ich aus dem Haus gehe und mir ein Ticket kaufe? Es gab in den letzten Jahren einen Trend, dass die Leute wochentags eher zu Hause bleiben und sich mit dem Internetangebot gut bedient gefühlt haben. Aber am Wochenende unternehmen die Leute lieber etwas und das wird sich auch nicht grundlegend verändern.

Film plus Kritik: Wie kann man das Votivkino und das De France denn während dieser schwierigen Zeit unterstützen?

Michael Stejskal: Man kann jetzt online Gutscheine kaufen und man kann, wenn wir wieder aufsperren, hingehen! Das ist die beste Form der Unterstützung!

Titelbild: Montage – (c) Filmladen / Votivkino