von Marius Ochs.

Das We are One Film Festival ist offiziell vorbei. Global und grenzüberschreitend brachte dieses Online-Festival außergewöhnliches Kino aus den verschiedensten Ecken der Welt via YouTube direkt und umsonst nach Hause. Ohne die Coronakrise gäbe es das „We are One“-Festival zwar nicht, die Idee darf aber gerne auch nach dem Ende der Pandemie weitergedacht werden, denn wir haben unsere Film-Ausflüge genossen.

Bis jetzt haben wir dank des wunderbaren Programms der ugandischen Filmmetropole Wakaliwood einen aberwitzigen Besuch abgestattet und einen emotionalen Abstecher in die chinesische Sonderverwaltungszone Macau gemacht. Zum Abschluss tauchen wir noch in das Kino aus Angola ab, und zwar mit dem jazzig-melancholischen „Air Conditioner“ von Fradique.

„Angolan Cinema is alive!“, las man immer wieder im Live-Chat während der Premiere des Films. Das „We are One“-Festival bietet durch das Regiedebüt von Fradique die Möglichkeit einer Einführung, nicht nur in die Filmkultur dieses südwestafrikanischen Landes, das jahrzehntelang im Bürgerkrieg versunken war, sondern auch in dessen Seelenzustand. Denn „Air Conditioner“ ist keine realistische Darstellung der schrecklichen Bürgerkriegsereignisse, keine unmissverständliche Kritik am quasi-autoritären Präsidialsystem der repressiven Regierung. Es handelt sich um einen metaphorischen Trip der besonderen Art.

Der Film folgt dem Protagonisten Matacedo auf einer surrealen Reise durch die Hauptstadt Luanda. Sein Boss schickt ihn, eine Klimaanlage zu reparieren, obwohl von diesen überall im Land tödliche Gefahr ausgeht. Klimaanlagen fallen aus ihren Verankerungen und erschlagen die Menschen auf offener Straße. Manche sterben auch am Hitzetod, nachdem die Klimaanlagen ausgefallen sind.  Über das Radio hört man von den abstrakten Maßnahmen der Regierung, das Problem zu lösen, eine Delegation fährt irgendwohin, um das Rätsel zu lösen. Und Matacedo macht sich auf, eine dieser manchmal aktiv, manchmal passiv tödlichen Maschinen wieder funktionsfähig zu machen.

„Air Conditioner“ arbeitet stark mit Symbolen. Diese Andeutungen und Metaphern, bei denen man das Gefühl hat, zu verstehen, ohne überhaupt in Worte fassen zu können, was man denn gerade versteht, machen den Film kraftvoll. Die ganze Inszenierung ist auf die fantastische Bildsprache ausgerichtet, Dialoge treten in den Hintergrund, werden teilweise nur über Untertitel kommuniziert. Die großartigen Tracking-Shots entwickeln einen Sog, man bewegt sich mit dem Protagonisten, versteht seine Melancholie, ist gebannt von ihr.

Und dann der Soundtrack: Jazz, perfekt integriert in Matacedos Gefühlswelt. Sein einziger Wunsch: friedlich sterben. Die Musik trägt dieses Gefühl, trägt diesen Film. Die hypnotische Symbiose aus Bild und Ton, ganz großes Kino. Fradique zeigt in den Momenten, in denen er den Jazz sprechen lässt, welch großes Talent in ihm steckt. Melancholisch und schwer, das ständige Gefühl der Bedrohung kann kaum abgeschüttelt werden. Fast jedes Bild großartig.

Der Film behandelt ein großes Trauma, spricht dieses aber so gut wie nie offen an. Nur einmal, in einer Szene, in der Matacedo in einer Art Erinnerungs-Maschine eines leicht verrückten Mechanikers sitzt, im Prinzip nur ein Auto ohne Reifen, aber immerhin mit funktionierender Klimaanlage, wird deutlich, was in ihm vorgeht. Matacedo schließt auf dem Rücksitz die Augen und wir sehen ihn, Kopf aus dem Fenster, durch die Straßen Luandas fahren, während ein Song läuft, der so auch auf dem Buena Vista Social Club-Album ein Highlight gewesen wäre. Erst als seine Begleiterin ihn leise fragt: „What happened to you in the war?“, findet er einen Weg zurück in die Realität. Als Zuschauer weiß man nicht, wie einem geschieht, aber der Kloß im Hals will nicht mehr weg gehen. 

Fazit:

„Air Conditioner“ ist ein nahezu perfektes Filmdebüt. Vor- und Abspann sind schon für sich genommen Kunstwerke der Film-Collage. Der Film dazwischen hypnotisiert und lässt einen tief blicken in eine Wunde, bei der selbst der bloße Gedanke an Heilung schon zu viel wäre. Auch wenn man nicht alles versteht, so wird man mitgerissen von der reinen, kraftvollen Atmosphäre und die melancholischen Bilder wirken lange nach. Der Soundtrack setzt diesem Film die Krone auf: Angolan Cinema is alive!

Bewertung:

8 von 10 Punkten (84/100)

„Air Conditioner“ ist noch mehrere Tage auf Youtube GRATIS zu sehen.