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Filmothek #53: “Blue Jasmine” – Kritik

Jasmine (Cate Blanchett) kreuzt bei ihrer Adoptivschwester Ginger (Sally Hawkins) in San Francisco auf und bittet um vorübergehenden Unterschlupf. Ihr Mann (Alec Baldwin) hat sich nach Aufdeckung seiner illegalen Geschäfte im Gefängnis das Leben genommen, womit das üppige New Yorker Upper-East-Side-High-Society-Leben des nach außen glänzenden Ehepaares ein abruptes Ende findet. Jasmine packt ihren Koffer und will im Golden State der amerikanischen Westküste ein neues Leben beginnen. Dabei bringt sie kurzzeitig den Alltag und das Liebesleben ihrer von Grund auf verschiedenen Schwester durcheinander und hat selbst große Mühe, sich auf die längst eingetretenen Veränderungen einzulassen. Bis ihr schließlich der wohlhabende Diplomat Dwight Westlake (Peter Sarsgaard) einen Heiratsantrag macht…

Gastbeitrag von Göran Ruser

Thematisch greift “Blue Jasmine” von Woody Allen das Bühnenstück „A Streetcar Named Desire“ von Tennessee Williams auf. Statt New Orleans heißt es hier „Californication“, die illegalen Geschäfte an der Ostküste ersetzen den damaligen Untergang des Geldadels in den Südstaaten. Zumindest für die Academy of Motion Picture Arts and Sciences gab es 2013 keine bessere weibliche Hauptrolle: Cate Blanchett gewann für ihre Darstellung 2014 den Oscar. Und dies völlig zu Recht. Denn es macht Spaß, diesem launischen Charakter beim sozialen, psychischen und physischen Abstieg zuzusehen. Auf der Leinwand strahlten zweifelsohne schon sympathischere Hauptrollen und Heldinnen. Aber Cate Blanchett zieht über 98 Minuten seelisch blank – und zeigt sich im Verlaufe des Films im wahrsten Sinn mehr und mehr ungeschminkt. Blanchetts intensives Spiel hat echte Sogwirkung. Man merkt ihr an, dass sie sich der Rolle mit Haut und Haaren hingibt. Dabei ist es nur schwer vorstellbar, dass sie die Figur der Jasmine Francis für die gesamte Dauer der Dreharbeiten auch mal ablegen konnte. Gleichzeitig weiß sie jedoch zu dosieren. Woody Allen mag im Regiestuhl seinen Teil dazu beigetragen haben, sodass ihre Darstellung frei von Overacting und somit authentisch bleibt. Ganz gleich wie pathologisch ihr Verhalten auch erscheint – diese Ambivalenz, nämlich dieser offen zur Schau getragenen Hilfsbedürftigkeit mit einem ruckartigen Fluchtreflex zu begegnen, verfolgt den Zuschauer bis zum Ende des Films.

Jasmines Weg in eine (ungewisse) Zukunft ist komplikations- aber auch abwechslungsreich. Trotzdem zuckt man bei jeder ihrer Begegnungen mit der meist männlichen Außenwelt innerlich zusammen. Zu unbeholfen, zu unverschämt oder einfach zu direkt drückt sie ihrem Gegenüber eine meist inadäquate Laune auf. Das hat natürlich seinen Reiz, denn neben vielen Rückblenden auf das vermeintlich geordnete Leben davor bleibt es spannend, ob und vor allem wie sich Jasmine gegenwärtig ein neues Leben aufbauen kann. Ihr früheres an Heuchelei und Scheinheiligkeit kaum zu überbietendes High-Society-Dasein wurde mit dem Selbstmord ihres Mannes mit begraben. Was ihr jetzt noch bleibt, ist allenfalls ein wenig Überheblichkeit gepaart mit Täuschungen und Lügen. Als sie registriert, dass sich die alte Welt gegen sie stellt, wirkt sie beinahe einsichtig desillusioniert. Aber deswegen gleich aufgeben?

Cate Blanchett trägt die schwere Last des Filmstoffs mit selbstbewusster Leichtigkeit. Der Spagat zwischen routiniertem Kameraflirt und verletzlicher Authentizität ist der Hauptgrund, warum man (an ihr) gern dranbleibt. Aber auch ihre Schauspielerkollegen/innen geben ihr Bestes. Sally Hawkins etwa als ihre Adoptivschwester Ginger erinnert unweigerlich an die Figur Polly, ihre Paraderolle aus „Happy-Go-Lucky“. Im Grundton immer ein wenig naiv, dabei offen wie ein Buch und ständig zwischen ebenso hilfsbedürftig wie ihre Schwester und dennoch durchsetzungsstark hin und her pendelnd. Alec Baldwin als Jasmins korrupter Ehemann, der spätestens mit der Comedy-Serie „30 Rock“ eine gefestigte Ruhe und Reife in seinem Spiel gefunden zu haben scheint, hätte man sich noch prägender für die Geschichte gewünscht. So bleibt die Darstellung semi-intensiv und die nötigen Fakten um seine Person werden nur solide abgearbeitet. Leider. Denn immer, wenn er auftaucht, wird’s interessant – das hätte man ein paar Minuten länger ausgehalten

Bobby Cannavale als Gingers Verlobter Chili tritt dagegen dominanter auf und wohl gleichzeitig das schwerste Erbe an, das man sich als Schauspieler der „Neuzeit“ vorstellen kann: Er übernimmt die Rolle von Kowalski, die im Original „Endstation Sehnsucht“ von niemand geringerem als Marlon Brando selbst gespielt wird.

Chili ist der Aufpasser, der jeden Schritt seiner Schwägerin genau beobachtet – und ihr jeden Fauxpas bretthart aufs Brot schmiert. Er ist Gingers Beschützer, den man sich als Zuschauer wünscht. Mit zunehmender Dauer verliert sein Beschützerinstinkt jedoch an Wirkung, was Ginger genau wie ihre Schwester Jasmine ausnutzt und sich anderweitig ausprobiert. Chilis entwaffnende Art verbraucht sich gen Ende beinahe mitleidserregend, was auch an Gingers neu gewonnener, resoluter Einstellung zu sich selbst liegt. So stellt sich die Frage: Wer übertrumpft hier eigentlich wen und wer ist am Ende der „Gewinner“? Wenn es denn überhaupt etwas zu gewinnen gibt.

Fazit

Woody Allen kreiert mit seiner ungleichen Gruppe äußerst gewillter Mimen Schauspielerkino vom Feinsten. Dieser Film macht jedoch vor allem dank seiner beiden Darstellerinnen lang anhaltenden Spaß. Der Lohn für eine der beiden: ein verdienter Oscar für Cate Blanchett in „a leading role“. Besser geht’s nicht? Doch, den Golden Globe gab’s obendrein.

Ähnlich wie in seinem Film „Match Point“ lässt Woody Allen Anspruch und Wirklichkeit in Gestalt von Gesellschaftsschichten, die sich geradezu diametral verhalten, aufeinanderprallen. Das ist im Ergebnis tragisch komisch, oft düster und trotzdem derart amüsant, dass wir ein bemühtes Schmunzeln gegen echtes Lachen eintauschen können. Das hier ist kein Woody Allen der ’70er, es ist ein Film aus dem neuen Jahrtausend. Und in dem kann er‘s auch.

Autoreninfo: Göran Ruser ist Jurist und Texter. Weitere Infos zu seinem Tätigkeitsbereich lassen sich auf seiner Website www.gospell.de nachlesen.

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