von Mara Hollenstein-Tirk

„Einmal geht’s noch, einmal geht’s noch leicht“ – wer sich schon einmal in einem Vergnügungspark herumgetrieben hat, der wird bei diesen Worten sofort an Spaß versprechende Fahrgeschäfte, überteuerte Süßigkeiten, die anfängliche Euphorie und das unausweichlich gegen Ende hin einsetzende Gefühl einer leichten Übelkeit denken müssen. Eine gute Überleitung zu den derzeitigen größeren Netflix-Produktionen, bei denen einen mit jedem weiteren Film das Gefühl beschleicht, dass man hier über eine relativ treffende Analogie gestolpert ist.

Denn den neueren Flaggschiffen wie „Extraction“, „The Lovebirds“ oder auch „Eurovision Songcontest“ ist eines gemein – sie alle haben eine vielversprechende Prämisse, ihre starken Momente, in denen sie sich dieser Prämisse auch bedienen, können aber nicht über die gesamte Laufzeit hinweg dieses Niveau halten. Gleichzeitig leisten sie sich aber auch keine groben Schnitzer und sind so schließlich eher als kleine, leicht verdauliche Filmhappen zu verstehen, die einen gut unterhalten, aber zu wenig Außergewöhnliches an sich haben um tatsächlich im Gedächtnis zu verweilen. Wie sich unsere Leser jetzt natürlich schon denken können, schlägt auch „The Old Guard“ in genau diese, eben beschriebene Kerbe.

Die interessante Grundidee liefern diesmal die zugrundeliegenden Comics, in denen es um eine Gruppe von Kriegern geht, die allesamt eines Tages in einer sehr weit zurückliegenden Vergangenheit unsterblich wurden. Trotz dieses schweren Loses versuchen die inzwischen als Söldner tätigen „Unsterblichen“ Gutes in der Welt zu bewirken und Menschen in Not zu helfen. Doch eines Tages wird ihr Geheimnis enthüllt und als ob das nicht schon Stress genug bedeuten würde, taucht auch noch eine neue Unsterbliche auf. Wie oben bereits gesagt; eine wirklich vielversprechende Basis, auf der man einen wirklich guten Film errichten könnte. Immerhin verstecken sich hier ebenso viele philosophische und moralische Fragen, wie Möglichkeiten für kreative Actionszenen. Leider betraten die Verantwortlichen aber lieber das altbekannte, sichere Terrain, bedienten sich genüsslich bei der Konkurrenz und sackten dadurch in die schier unendlichen Weiten der Mittelmäßigkeit ab.

Und das obwohl anfangs eigentlich alles noch so gut läuft. Gerade in der ersten Hälfte wird deutlich, wie sehr sich Drehbuchautor Greg Rucka hier um Dinge wie Charakterzeichnung und -tiefe bemüht, und wie gut es die gecasteten SchauspielerInnen verstehen, diese Momente emotional aufzuladen. Da kann man dann auch leicht darüber hinwegsehen, dass mit der neu zur Gruppe stoßenden Figur auf das „fish out of water“-Sujet zurückgegriffen wurde um dem Zuschauer zumindest ein paar Antworten auf die bis dahin aufgeworfenen Fragen zu liefern. Doch dann tritt der leider verhältnismäßig lachhafte Schurke auf den Plan, die Ereignisse überschlagen sich und die Action übernimmt endgültig das Ruder. Und hier springen einem sofort zwei Sachen ins Auge. Erstens: „John Wick“ war hier eindeutig ein Quell der Inspiration, leider ohne dass es Kameraduo oder die Regisseurin verstanden hätten, was die dort gezeigte Action so großartig macht. Und zweitens: Lieder mit Gesang eignen sich nur in den seltensten Fällen, und auch hier wohl nur überlegt, für Actionszenen. Ganz allgemein vermisst man an vielen Stellen, während man dem x-ten Song lauscht, einen originellen Score.

Fazit

Alles in allem ist „The Old Guard“ eine Comicverfilmung geworden, die viel Potenzial auf dem Weg liegen lässt, die zu oft den sicheren Weg wählt und zu wenig mit ihrer Prämisse anzufangen weiß. Auf der anderen Seite ist es aber auch eine Comicverfilmung, die mit einem wirklich guten Cast, allen voran Charlize Theron, einigen starken Momenten und einer Neugier erweckenden letzten Szene punkten kann. Fans des Genres werden somit sicher ihren Spaß mit dem ganzen Spektakel haben, aber der nächste große Wurf ist Netflix definitiv nicht gelungen.

Bewertung

6 von 10 Punkten

Bewertung: 6 von 10.

Bilder: ©Netflix