von Cliff Brockerhoff

Sometimes I wish I were an angel, sometimes I wish I were you… nach diesem kostenlosen Ohrwurm, der selbstredend als kleine Hommage auf den Titel des zu besprechenden Films zu deuten ist, widmen sich die folgenden Zeilen nicht der Kelly Family, sondern der Kelly Gang, einer Bande, die im Australien des 19. Jahrhunderts als gesetzesscheuer Zusammenschluss durch die Lande zog und nun als Eckpfeiler der Prämisse eines 124-minütigen Spielfilms fungiert, der unter der Regie des Australiers Justin Kurzel entstand und im September 2019 in Kanada seine Premiere feierte.

In Kurzel wurde ein Mann gefunden, der inszenatorisch die gesamte Bandbreite abrufen kann. Abgesehen von seiner erschreckend schwachen Verfilmung der Videospiel-Reihe Assassins Creed stehen mit „Die Morde von Snowtown“ und „Macbeth“ bereits ein atmosphärisch dichter Psychothriller und eine bildgewaltige Shakespeare Adaption zu Buche. Kurzel scheut keine Herausforderung, und so sollte er in „True History of the Kelly Gang“ seine Stärken bündeln und sein Œuvre um sein Glanzstück erweitern.

Die immerhin titelgebende Kelly Gang ist allerdings erst einmal nebensächlich, erzählt das Werk vorab die Lebens-  und Leidensgeschichte von Edward, genannt „Ned“ Kelly. Dieser wächst in ärmlichen Verhältnissen auf und muss im zarten Alter von 12 Jahren bereits den Verlust seines Vaters verkraften – an dem Ned wiederum nicht ganz schuldlos ist. Fortan ist der blonde Spross der Mann im Haus, muss ebenjenes aber schnell verlassen und erlebt in kürzester Zeit weitere Nackenschläge. Kein Wunder also, dass der älteste Sohn der Familie mehr und mehr damit zu kämpfen hat seinen moralischen Kompass zu kalibrieren und stattdessen dem inneren Wahnsinn verfällt.

Diesem Wahnsinn widmet sich auch Kurzel und lässt mit George MacKay einen blutjungen Akteur von der Leine. „Nothing scares a man like crazy“ wird wiederholt konstatiert. Und MacKay ist zweifellos crazy. Der junge Brite schreit, bellt, hüpft, starrt und erweckt beinahe den Eindruck als wolle er nach seiner leidensfähigen Performance im oscarprämierten „1917“ nun seine andere Seite unter Beweis stellen. Kein Gramm Fett ziert den drahtigen Körper und in den hervortretenden Augäpfeln wird der geistige Verfall von Minute zu Minute präsenter. Schauspielerisch ist das à la bonheur und stellt gestandene Größen wie die ebenfalls im Cast befindlichen Russell Crowe und Charlie Hunnam kurzerhand in den Schatten. Schade nur, dass der Film es versäumt all sein Chaos mit einer emotionalen Komponente zu unterfüttern. So sehr MacKay sich auch die Seele aus dem Leib spielt, so kalt lassen die Ereignisse den Zuschauer. Nur wenige Szenen sorgen für echte Spannung, dafür sind die Handlungen zu unverhältnismäßig und können trotz ausführlicher Charakterzeichnung des Protagonisten wenig Gefühlsregung erzeugen.

Kurzel versucht die offenkundige Schwäche seines Werkes mit technischer Handhabe zu kompensieren, stößt aber an seine Grenzen. Die aufregende Mischung aus verschiedensten Einstellungen, Kamerafahrten und Farbpaletten zeichnet das Bild eines Epos, wenn sich der Rauch legt, bleibt aber zumeist das Bild eines ambitionierten Vorhabens zurück, dem ein wenig mehr Bodenständigkeit zuträglich gewesen wäre. Gelang ihm in „Macbeth“ noch der Spagat zwischen Bildgewalt und inhaltlichem Tiefgang, kann sein neues Werk nur eine der beiden Facetten bedienen. Wenn MacKay nicht irgendwo wild kreischend durch die Szenerie springt oder sich ein in Zeitlupe präsentiertes Gemetzel zuträgt, lässt der Film zu viel Raum für Länge und Langeweile. Das ist schade, denn eine etwas zügigere Erzählweise und Einführung der Gang hätte mühelos für eine höhere Bepunktung sorgen können.

Fazit

„True History of the Kelly Gang“ ist anspruchsvolles Kino für ein aufgeschlossenes Publikum, profitiert dabei von einem wahnsinnig guten Cast und einem verrückten letzten Drittel, ergießt sich bis dahin aber leider zu oft in bedeutungsschwangeren Dialogen. Wer mit dem leicht unausgewogenen Pacing und der nicht zu übersehenden Glorifizierung von Gewalt umgehen kann, findet im flackernden Licht einen Hauptdarsteller mit großem Talent – das erhoffte Meisterstück in Kurzels Laufbahn steht aber weiterhin aus.

Bewertung

7 von 10 Punkten

Bewertung: 7 von 10.

Bilder: ©Koch Films