Über Mr. Depps Eskapaden wurde an dieser Stelle in den letzten Monaten und Jahren ausführlich berichtet, über filmische Highlights gab es (leider) wenig zu sagen, wohl auch, weil der Star selbst mehr mit seinen Eskapaden beschäftigt war, als mit großer Kunst. Sein neuester Film „Minamata„, den wir im Februar in Anwesenheit von Mr. Depp himself bei der Berlinale sehen konnten, entpuppte sich auch als relative Enttäuschung: Johnny irrlichtert dort halb besoffen von Szene zu Szene, während die krude Inszenierung und das holzschnittartige Drehbuch wenig Freude bei Cineasten aufkommen lassen.

Bereits 2018 feierte „The Professor“ (oder „Richard says Goodbye“) in Zürich seine Weltpremiere, seit 25.7. ist die Tragikkomödie bei uns erstmals einem breiteren Publikum zugänglich, und zwar via Amazon Prime. Von der Kritik wurde der Streifen bisher gnadenlos zerrissen (10% bei RT !), während diverse Publikumswertungen durchaus positiv ausgefallen sind: Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.

von Christian Klosz

Richard Brown (Depp), Englisch-Professor an einem elitären US-College, bekommt von seinem Arzt die Hiobsbotschaft: Lungenkrebs, fortgeschrittenes Stadium, mit Behandlung noch ein Jahr zu leben, ohne 6 Monate – wenn es gut geht. Brown, ohnehin frustriert ob seiner gescheiterten Ehe und dem Alkohol zugetan, reagiert zuerst wütend auf die Nachricht, dann resigniert. Seine letzten Monate will er sich nun so angenehm und erträglich wie möglich gestalten, sprich: In Gesellschaft von jeder Menge Whiskey und Wein, Drogen und Frauen. Seiner Frau Veronica und seiner Tochter Olivia erzählt er zunächst nichts von seinem tragischen Todesurteil, nur sein bester Freund Peter wird eigeweiht, der sich dann auch rührend um Richard kümmert und den die Sache zunehmend mehr mitnimmt als den Professor selbst.

„The Professor“ begleitet den Protagonisten 1.5 Stunden lang dabei, wie er sich schrittweise von dieser Welt verabschiedet. Wobei: Man kann sich nie ganz sicher sein, ob man nun der fiktiven Figur „Richard Brown“ bei seinen Eskapaden zuschaut, oder doch dem echten Johnny Depp, der sich einfach selbst spielt. Oder eben gar nicht spielt: Denn gerade, wenn man den Mimen in Berlin 2020 live erlebt hat, kann man kaum Unterschiede ausmachen zwischen der Filmfigur (und eigentlich auch der in „Minamata“…) und der public persona Depps. Wankender Gang, lallende Aussprache, das Gefühl tiefer Agonie: Das alles ist permanent an der Grenze zur Karikatur, und man weiß nie so recht, ob man das nun traurig, lustig, cool, bewundernswert oder doch abstoßend finden soll.

Das ist gleichzeitig auch das größte Problem von „The Professor“: Der Film ist völlig auf Johnny Depp und seine Figur zugeschnitten, alles andere ist lediglich Begleitmusik. In den schlechteren Momenten kippt das wirklich Richtung unfreiwillige (Selbst-)Parodie, in den besseren Momenten darf Professor Depp kluge Lebensweisheiten von sich geben oder lassen sich diffuse Emotionen hinter den traurigen, vom Alkohol getrübten Augen wahrnehmen. Das Drehbuch ist dabei solide, die Inszenierung inklusive Soundtrack ordentlich, das Sujet (dekadentes US-Elite-Uni-Milieu) erinnert frappant an die geniale Serie „Californication“, wenngleich „The Professor“ den Qualitätsvergleich natürlich verliert.

Fazit:

Wer also damit etwas anfangen kann, großer Johnny Depp-Fan ist – oder Voyeur, der erste Reihe fußfrei Zeuge des prolongierten Absturzes eines Superstars sein möchte, sollte „The Professor“ eine Chance geben; „grandioses künstlerisches Scheitern“ ist das nicht, aber ein langsamer, in einer seltsamen Mischung unterhaltsamer, trauriger und doch anziehender Niedergang, von dem man die Augen nicht abwenden kann oder will. Der selbst initiierte und verschuldete Denkmalsturz der Filmikone Johnny Depp ist noch nicht ganz vollzogen, die Statue schwankt und wankt – aber sie fällt noch nicht. Vorerst.

Bewertung:

Bewertung: 6 von 10.

(56/100)

„The Professor“ ist seit kurzem auf Amazon Prime Video zu sehen und erscheint zusätzlich am 31.7. auf DVD/BluRay.