Nach einem atomaren Zwischenfall steht die Bevölkerung Norwegens am Scheideweg. Es gibt keinen Strom, die Nahrungsmittel müssen rationiert werden und gehen ebenso zur Neige wie die Hoffnung derer, die ihr tristes Dasein im betroffenen Gebiet fristen müssen. Tag ein, Tag aus tobt der Kampf ums Überleben, doch als sich aus dem Nichts die Chance auf kurzzeitige Besserung bietet, willigen Leonora und ihr Mann Jacob blindlings ein. Ihr Ziel: eine abendliche Theatergala, die neben Unterhaltung auch ein zünftiges Festessen verspricht.

von Cliff Brockerhoff

Am Ort des Geschehens angekommen müssen die beiden und ihre Tochter Alice allerdings schnell erkennen, dass es sich um keine gewöhnliche Aufführung handelt. Anstelle einer Bühnenshow ist das gesamte Etablissement der Schauplatz, Schausteller und Zuschauer werden zudem munter vermengt. Einziges Erkennungsmerkmal des Publikums ist dabei eine goldene Maske, mittels derer auch der cineastische Betrachter jederzeit weiß, wer zu welcher Seite gehört. So ergibt sich schon in der Anfangsphase eine interessante Ausgangslage, die sich in den weitschweifigen Korridoren, Sälen und Räumen des Luxushotels seinen Weg bahnt.

Tatsächlich ist die Szenerie mehr als beachtlich. Nach den ersten Minuten, die von eintönigen Farben geprägt waren und eine authentische Dystopie projizieren, bestimmen nun kräftige Kolorierungen das Bild. Die samtig roten Flure, prunkvollen Beleuchtungen und edel ausgekleideten Kulissen lassen vorangegangenes vergessen – so, wie es den Teilnehmern versprochen wurde. Doch so schön die aufkeimende Hoffnung auch sein mag, sie weicht schnell einer Unbehaglichkeit. Spätestens als das Geschehen immer mehr außer Kontrolle gerät und niemand mehr so wirklich weiß, was echt ist und was nicht. Im ersten Drittel ändert der Film mehrfach die Ausrichtung und macht Appetit auf mehr, doch als der Hauptgang serviert wird, vergeht der Hunger.

Nicht etwa weil „Kadaver“ seinen Ekelgrad in die Höhe schraubt, nein, die sauber eingeleitete Prämisse wird so jäh und unnötig zerstört, dass sämtliche Euphorie schnell verflogen ist. Auch wenn naive Entscheidungen und typisch klischeebehaftete Handlungen zum normalen Repertoire vieler Horrorfilme gehören, übertreibt es das Werk und reizt die Geduld über alle Maßen aus. Beispiele gefällig? Just wenige Minuten nachdem den Gästen aufgetragen wurde die Masken nicht abzusetzen, laufen die Damen und Herren fröhlich mit unbedeckten Gesichtern durch das Bild. Alice, der blonde Spross der Protagonisten, entzieht sich mehrmals, trotz Ermahnung durch das Paar, der elterlichen Obhut. Dies sei aber „vollkommen okay“, man müsse lernen „sich auch mal wieder zu entspannen“, so die Erziehungsberechtigten. Angesichts der Ausgangslage nur sicherlich der allerschlechteste Zeitpunkt für eine solche Erkenntnis.

Und so rumpelt der Film durch seine anderthalb Stunden, versucht sich an der Erörterung der Diskrepanz zwischen Schein und Sein, debattiert den humanen Impuls Dinge in Notsituation nicht zu hinterfragen und lässt Alice ohne Sinn und Verstand durch das Wunderland wandern. Was sich wirklich in dem Hotel abspielt, ist dem findigen Zuschauer an dieser Stelle bereits bewusst, nur die letztliche Auflösung bewahrt sich der Film bis zum Schluss auf – kann aber auch damit nicht vollends überzeugen. Wo Werke wie „Der Schacht“ ihre Gesellschaftskritik gekonnt verpacken, scheitert „Kadaver“ und will zu viel auf einmal sein, und ist am Ende nichts davon so richtig. Pures Mittelmaß, das ironischerweise an dem scheitert, was es zu kritisieren versucht: denn hier ist definitiv mehr Schein als Sein.

Fazit

Das Werk nimmt seinen Titel leider allzu wörtlich und wirkt gerade gegen Ende komplett leblos. Die anfänglich gut aufgebaute Stimmung versinkt in affektierter Tiefe, die sich trotz passabler Leistungen des Ensembles nicht kaschieren lässt. Das Rezept passt, aber die Zubereitung wirft mehr Fragen auf, als sie beantworten kann. Für den kleinen Hunger zwischendurch passabel geeignet, nach ein paar Minuten aber auch schon wieder verdaut und ausgeschieden.

Bewertung

Bewertung: 5 von 10.

(48/100)

Bilder: ©Netflix