Weißrussland, 1943 zur Zeit der Nazi-Besatzung: Florja, ein Junge um die 16 Jahre, gräbt am Strand nach alten Gewehren, um sich endlich den Partisanen im Kampf gegen die deutschen Besatzer anschließen zu können. Er lässt er sich trotz bitterlichen Flehens seiner Mutter rekrutieren und zieht stolz in den Kampf. Als ihn der strenge Kommandant vorerst nicht beim Einsatz dabeihaben will, beginnt für Florja dennoch die wahre Tortur: Nach einem Bombenangriff und der Zerstörung des Lagers schlägt er sich erst mit der gleichaltrigen Glascha durch den Wald durch und kehrt schließlich in sein Heimatdorf zurück, nur um zu erkennen, dass seine gesamte Familie von den Nazis ausgelöscht wurde. Er wird Zeuge eines grausamen Massakers zu werden, bei dem die Besatzer hunderte Menschen in eine Scheune pferchen und diese anzünden. All das spiegelt sich im von den Gräuel gezeichneten Gesicht Florjas wider, das innerhalb kurzer Zeit um Jahrzehnte gealtert scheint und aus dem jedes Leben entwichen ist: Das ist „Komm und sieh“ von Elem Klimow aus dem Jahr 1985, für viele einer brutalsten (Anti-)Kriegsfilme aller Zeiten, der derzeit eine Wiederaufführung in den Kinos feiert.

von Christian Klosz

„Komm und sieh“ ist harter Tobak: Wenige Kriegsfilme schaffen es, die Gräuel, den absoluten Wahnsinn, die unerträgliche Unmenschlichkeit von Krieg derart eindrücklich, aber auch realistisch einzufangen. Im Krieg regieren niederste Instinkte, Menschen werden zu Tieren und das Böse wird zum beiläufigen Charakter jeder Handlung, als ob es etwa das Normalste und Banalste der Welt wäre, Menschen abzuschlachten. Diese kalte, berechnende Abartigkeit ist Triebfeder des Handelns der deutschen Besatzer, während die weißrussischen Partisanen vom Mut der Verzweiflung getrieben werden, ihre Heimat zu verteidigen. Fatal bei alldem: Der junge Florja ist verblendet von jugendlicher Abenteuerlust und seiner eigenen Hybris, seiner Naivität, die ihm den Zug in den Krieg als heldenhafte Tat erscheinen lässt. Diese Illusion zerschellt innerhalb kürzester Zeit mit den Einschlägen erster Bomben, der Krieg erscheint als das, was er ist: sinnlos.

Klimow teilt „Komm und sieh“ dabei in 2 Teile: Im ersten zieht der Protagonist stolz und abenteuerlustig in den Krieg, trifft die junge Glascha und ist trotz erster Verstörungen noch guten Mutes, das Richtige getan zu haben. Darauf folgt eine erste Schockphase, in der Florjas zuvor übermütiger Geist zeitweise dem Wahnsinn verfällt, ein akuter Überlegenskampf und die Fluchtodyssee beginnen. Teil 2 ist totale Trostlosigkeit, tragisches Trauma ohne Ende und Ausweg, das einen jungen Mann zeigt, der – innerlich und äußerlich um Jahrzehnte gealtert – jede menschliche Regung verloren hat, abgestumpft ist, seelisch gestorben ist. Lobend erwähnt werden muss man hier Darsteller Alexei Krawtschenko, beim Dreh selbst gerade 16 Jahre alt, der eine schier unglaubliche Meisterleistung abliefert und die Leiden des jungen Florja so glaubwürdig und eindrücklich verkörpert.

Wenngleich „Komm und sieh“ auf den ersten Blick (und gerade bei der nicht restaurierten Fassung) mitunter „alt“ und aus der Zeit gefallen erscheint, ist „Komm uns sieht“ ein in seiner Ästhetik doch höchst moderner Film, der wie etwa sein US-amerikanisches Pendant „Apocalypse Now“ mit teils surrealistischen Stilmitteln operiert, um die Gräuel des Krieges umso wirkkräftiger einzufangen. Vor allem im ersten Teil setzt Klimow (wie auch Kollege Coppola) auf dröhnende Soundkulissen, die die bedrohliche Atmosphäre einzufangen vermögen – wenngleich er insgesamt doch vielmehr dem filmischen Realismus verpflichtet bleibt. Das manifestiert sich auch in immer wieder eingesetzten POV-Perspektiven und Handkamera-Einstellungen, die zudem Vergleiche zu „1917“ erlauben und das Gefühl von Direktheit und „Intimität“ weiter steigern.

Fazit:

Ein erschütternder Trip in menschliche Abgründe, der alle dunklen Seiten der „Bestie Mensch“ abbildet und einen desillusioniert und ernüchtert zurücklässt: Jede Hoffnung verloren, jede Menschlichkeit entwichen, pures Überleben, Leid und Terror, die sich in die Gesichter, Körper, Psychen der Betroffenen einschreiben, und vielleicht nie wieder entschwinden werden. „Komm und sieht“ ist Paradebeispiel eines Anti-Kriegsfilms, der jeden Heldenpathos im Kern erstickt und den großen Klassikern des Genres (vielfach aus den USA) um nichts nachsteht.

Bewertung:

Bewertung: 9 von 10.

Seit 22.10. im Kino, demnächst auf DVD/BluRay.

Bilder: (c) 2020 Drop Out Cinema eG