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„Niemals Selten Manchmal Immer“ – Kritik zum Kinostart

Als der 17-jährigen Autumn (Sidney Flanigan) bei der Frauenärztin offenbart wird, dass sie schwanger ist, stehen zwei Dinge fest: sie möchte das Kind nicht bekommen. Und sie möchte nicht mit ihren Eltern über die Situation sprechen. Weil sie in Pennsylvania als Minderjährige aber nicht ohne Zustimmung eines Elternteils abtreiben darf, vertraut sie sich ihrer Cousine Skylar (Talia Ryder) an. Mit Geld, dass sie beim Nebenjob im Supermarkt stehlen, wagen die beiden Schülerinnen eine Busreise nach New York, wo der Eingriff legal vorgenommen werden kann.

von Paul Kunz

Regisseurin Eliza Hittman, die auch das Drehbuch geschrieben hat, wählt für „Niemals Selten Manchmal Immer“ einen ruhigen, beinahe dokumentarisch nüchtern anmutenden Ton. Anstatt auf zahlreiche Dialoge zu setzen, schafft Hittman Raum für die stilleren Momente und lädt so kleine Gesten mit einem hohen Maß an Bedeutung auf. Wenn Autumn sich im Supermarkt übergibt und Skylar sie fragt, was los ist, muss Autumn nicht lang und breit erklären, was ihr Problem ist – ein paar Blicke werden ausgetauscht, dann ist die Sache glasklar. Schwierigkeiten, die sich Autumn und Skylar auf ihrer Reise in den Weg stellen, begegnen sie mit unterkühltem Pragmatismus. Ein Problem nach dem anderen. Der Verzicht auf längere Dialogszenen oder größere Gefühlsausbrüche führt dazu, dass die Verzweiflung der Protagonistin lange unter der ruhigen Oberfläche brodelt – sie ist allerdings immer spürbar.

Ganz wunderbar ist die Kamera von Hélène Louvart: sie fängt die Reise der beiden jugendlichen Frauen in klaren, unaufgeregten Bildern ein und schafft es, die Überwältigung der Großstadt New York genauso greifbar zu machen wie das komplexe Innenleben der Protagonistinnen. Meist bleibt Louvarts Kamera nah an Autumns Gesicht und fängt ihre Gefühlsregungen, die Flanigan in ihrem naturalistischen Spiel wunderbar dezent umzusetzen weiß, in all ihren Facetten ein. Das ist intim, aber unaufdringlich. Einfühlsam und niemals voyeuristisch.

Die Hindernisse, denen Autumn und Skylar begegnen, sind Auswüchse eines systemischen Sexismus, den Eliza Hittman in der Subtilität seiner Mechanismen hervorragend greifbar macht. Es sind kleine und größere Gesten der Unterdrückung: da ist der Schüler, der „Schlampe!“ ruft, während Autumn bei der Talentshow ihrer High School performt. Da ist der Supermarktangestellte, der Autumn und Skylar sexuell belästigt. Da ist die Frauenärztin, die Autumn durch Filmmaterial der unschönen chirurgischen Einzelheiten einer Abtreibung vom Eingriff abbringen will. Oder der junge Mann, der Autumn und Skylar unterstützt – ein durchaus netter Typ, der wahrscheinlich abstreiten würde, dass er nur in Erwartung einer Gegenleistung zur Hilfe geeilt ist. Der Feind sind aber keine dieser Individuen, sondern vielmehr die Welt, die jungen Frauen Steine in den Weg legt. Besorgniserregend routiniert räumen Autumn und Skylar sie nach und nach beiseite.

Fazit

Trotz der Schwere der Thematik und einiger bedrückender Szenen ist „Niemals Selten Manchmal Immer“ letzten Endes kein negativer Film geworden – und das ist wahrscheinlich das Schönste an der Sache. Eliza Hittman portraitiert Autumn und Skylar mit einem Höchstmaß an Empathie, das sie auf das Publikum überträgt. So erzeugt sie mit einem absolut nüchternen Erzählstil ganz große Gefühle. Ab 30.10. im Kino. (Ö)

Bewertung

Bewertung: 9 von 10.

(94/100)

Bilder: (c) 2020 Universal Pictures Int. Germany Gmbh

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