Schwarze Filme werden dieses Jahr bei den Oscars eine enorm wichtige Rolle spielen, und das nicht aufgrund einer Quote, die bekanntlich erst 2024 zum Tragen kommt. Nein, im vergangenen Jahr gab es einfach außergewöhnlich viele und außergewöhnlich gute afroamerikanische Geschichten, die auf der Leinwand (oder dem heimischen Endgerät) erzählt wurden. Man denke nur an Pixars „Soul“, Chadwick Bosemans letzten Film „Ma Reinys Black Bottom“ oder Spike Lees Vietnam-Drama „Da 5 Bloods“. Schauspielerin Regina King, die für ihre Performance in „If Beale Street Could Talk“ schon einen Oscar gewonnen hat, gibt jetzt mit der Theater-Adaption „One Night in Miami“ ihr Regie-Debüt.

von Marius Ochs

Wie es sich für eine solche-Adaption gehört, stehen bei „One Night in Miami“ die Darsteller im Vordergrund. Die Geschichte spielt Anfang der 1960er-Jahre, das Civil Rights Movement ist in vollem Gange. Vier der berühmtesten Afro-Amerikaner ihrer Zeit – Boxer Cassius Clay, Sänger Sam Cooke, NFL-Star Jim Brown und Bürgerrechtler Malcolm X – treffen sich im Anschluss an einen Boxkampf in X‘s Hotelzimmer um zu feiern. Doch Malcolm X lädt seine Gäste dazu ein, zu reflektieren. Das Kammerspiel-Szenario führt zu einem dialoglastigen Film, und jeder der Schauspieler findet die Zeit, seinen berühmten Charakter zu entfalten. Das macht sich bezahlt, denn in dieser Disziplin mausert sich der Film zum Oscar-Anwärter. Insbesondere Kingsley Ben-Adir in der Rolle des Malcolm X wird wohl eine Nominierung erhalten.

Doch ein guter Film braucht mehr als nur gute Schauspieler, und eine Theater-Verfilmung muss sich generell die Frage gefallen lassen, ob die Adaption es überhaupt schafft die bereits bekannte Vorlage zu bereichern. „One Night in Miami“ kann diese Zweifel nur teilweise entkräften. Der Film ist weder sehr ereignisreich, noch ist er besonders virtuos inszeniert. Auch das Hotelzimmer-Set gibt nicht so viel her, wie man sich das von einem Kammerspiel wünschen würde. Kurz gesagt: An der Oberfläche macht alles einen sehr konventionellen, fast schon belanglosen Eindruck.

Das wäre fatal, hätte der Film nicht die hohe gesellschaftliche Relevanz, die dem fiktiven Treffen der vier schwarzen Ikonen innewohnt – denn so macht die Reduktion von externen Einflüssen letztlich sogar Sinn. Jedem dieser Charaktere wird eine eigene Herangehensweise an die große Rassismus-Frage auf den Leib geschrieben. Der/die Zuschauer/in erhält einen tiefen Einblick in die schwarze Seele Amerikas, und begünstigt durch die historische Fiktion kann der Film diese Überlegungen mit der nötigen Distanz und anhand berühmter Beispiele darstellen. „One Night in Miami“ stellt so vier verschiedene Entwürfe vor, wie man sich als Schwarzer Mann in Amerika gegen den offenen Rassismus der Gesellschaft wehren kann. Dass dieses Thema auch heute noch relevant ist, und zwar nicht nur in den USA, braucht in Zeiten von „Black Lives Matter“ vermutlich keine weitere Erläuterung.

So gibt der konventionelle Rahmen des Films den Schauspielern die Möglichkeit diese Identitäts-Entwürfe fein auszuarbeiten und die Konflikte offenzulegen, die Afroamerikaner untereinander und mit sich selbst ausfechten müssen. Sollte man radikal gegen die offensichtliche Ungerechtigkeit vorgehen (Malcolm X), oder sollte man lieber die Kapitalismus-Logik der Gesellschaft ausnutzen, um durch finanzielle Freiheit zu echter Freiheit zu gelangen (Sam Cooke)? Sollte man eine Film-Karriere starten um einen schwarzen Helden auf der Leinwand zu sehen, obwohl der eigene Charakter in den meisten Western-Skripten als Erster stirbt (Jim Brown)? Oder ist man als schwarzer Box-Star der Held oder der Feind der Gesellschaft (Cassius Clay)? „One Night in Miami“ wirft diese und noch viele weitere Fragen auf und verhandelt diese abseits von billigen Schwarz-Weiß-Schemata. Regina King geht in ihrem Regie-Debüt den Grautönen nach und versteht es dabei immer wieder, Dialoge spannend zu gestalten ohne vom Wesentlichen, dem Inhalt, abzulenken. Der Spannungsbogen wird von ihr zu einer Schlussszene gespannt, die so ausschließlich im Medium Film möglich ist und damit der Adaption eine Emotionalität gibt, die all die intellektuellen Spannungen löst.

Fazit

Das Regie-Debüt von Regina King ist ein intellektueller, anspruchsvoller und zuweilen spannender Film, der durch seine fiktive Historizität eine wichtige Auseinandersetzung mit aktuellen Ereignissen kreiert. Die Adaption des Theaterstückes wird von vier überragenden Hauptdarstellern getragen, die sich in ausufernden Dialogen den Problematiken einer afroamerikanischen Identität nähern ohne eine endgültige Lösung zu präsentieren. Und trotz all der teils verkopften Herangehensweise schafft der Film es in letzter Konsequenz auch emotional mitzureißen. „One Night in Miami“ ist ein Film, der gleichzeitig zum Nachdenken und Weinen anregt. Ab sofort auf Amazon Prime Video abrufbar!

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

(84/100)

Bilder: ©Amazon Prime Video

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