Erich Maria Remarque berichtete 1929 in seinem Roman über den Schrecken des Ersten Weltkriegs und konstatierte: „Im Westen nicht Neues“. Doch wie sieht es anno 2021 im Wilden Westen aus? Wo sich früher schweigsame Recken minutenlang zu Mundharmonikaklängen gegenüberstanden, erlebt das Genre in den letzten Jahren eine kleine Renaissance. Regisseure wie Quentin Tarantino oder Paul Thomas Anderson befreiten den Stoff vom trockenen Staub und verbanden gekonnt traditionelle Elemente mit neuen Stärken. Der Ire Ivan Kavanagh (u.a. „The Canal“) nähert sich der Materie allerdings noch einmal von einer ganz anderen Seite. 

von Cliff Brockerhoff

In seinem Film „Never grow old“ ist der Titel auch gleichzeitig Programm, erzählt er doch vom jungen Zimmermann und Bestatter Patrick Tate, der sein Geld mit dem Ableben anderer verdient. Doch die Voraussetzungen für seine Tätigkeit waren schon besser, denn nachdem in der Grenzstadt Garlow Alkohol und Prostitution verboten worden sind, ist das Zusammenleben friedlicher, ja gar fast langweilig geworden. Das ändert sich schlagartig als der Gesetzlose Dutch Albert samt Gefolgschaft in der Stadt einfällt und das Geschehen immer mehr an sich reißt. Tate profitiert von der neuen Gemengelage, doch nach und nach geraten er und seine Familie in einen gefährlichen Zwiespalt. In der Folge entwickelt sich ein blutiges Treiben, das in einer unvermeidbaren Auseinandersetzung gipfelt.

Stilistisch erinnert der Film des Iren damit eher an „Brimstone“ oder „There will be blood“ als an Tarantinos dialoglastigen Eisklotz aus dem Jahre 2015. Kavanagh bietet dem Zuschauer zwar auch immer wieder weit aufgezogene und durchaus ansehnliche Bilder an, ergeht sich aber nicht in der Optik. Vielmehr besticht „Never grow old“ durch seine erzählte Geschichte, die, möglicherweise nicht ganz zufällig, nicht selten an die Entstehungsgeschichte der Vereinigten Staaten von Amerika selbst erinnert. Anstelle der Indianer sind es im Film die Bewohner von Garlow, die sich nach und nach der Herrschaft eines Neuankömmlings unterordnen müssen, sodass vielen nur die Flucht – oder eben der Tod bleibt. Dieser spielt wiederum dem Protagonisten in die Karten, die zarte Zuversicht des Anfangs weicht im Forlauf der knapp 100 Minuten jedoch unweigerlich der knallharten Einsicht.

Verkörpert werden die handelnden Hauptpersonen dabei von Emile Hirsch, der den fürsorglichen Familienvater mimt, und John Cusack, der in die Rolle des skrupellosen Antagonisten schlüpft. Besonders er weiß vollends zu überzeugen, besticht im Feuerglanze der Beleuchtung oftmals mit fieser Mimik und tiefschwarzen Augen und wirkt generell so als hätte er mächtig Spaß beim Dreh gehabt. Auch wenn sein Charakter durchgehend unsympathisch und frei von jeglicher Empathie handelt, ist es Dutch Albert, der die Story auf seinen Schultern trägt. Dass soll nicht bedeuten, dass Hirsch nicht eine ebenso gute Leistung abruft; doch seine Rolle leidet hinten raus immer mehr unter der Unentschlossenheit, die das Drehbuch ihr auferlegt. Selbst als seine schwangere Frau ihm zum wiederholten Male von Übergriffen berichtet und darum bittet die Stadt zeitnah zu verlassen, zieht Tate es vor weiter finanziell von der Situation zu profitieren. Im gewissen Maße nachvollziehbar, letztlich aber auch so naiv, dass der Zuschauer irgendwann aussteigt.

Dabei sollte er dann allerdings aufpassen wo er seine Schritte setzt, die Kulisse rund um die Kleinstadt hat nämlich so gar nichts mit den staubigen Einöden von einst zu tun und kommt als in Schlamm gehüllter Schauplatz daher, der nur wenig Schönes zu bieten hat. Die Farbpalette weist viele Erdtöne auf, die Sonne lässt sich nur selten blicken und insgesamt wirkt alles sehr trist und trostlos. Die einzigen Farbakzente, die Kavanagh einfließen lässt, sind blutrot und geizen nicht an expliziter Darstellung. „Never grow old“ ist nicht nur mental fordernd, sondern setzt wohl akzentuierte Gewaltspitzen, die dabei durchgängig der Handlung zuträglich sind und nicht unangenehm herausstechen. So ist der Film zwar nie wirklich schön, aber trotzdem schön stimmig und authentisch brutal inszeniert.

Fazit

Letztlich verbleibt der neumodische Hybrid aus Neo-Western und Thriller zwar ohne nennenswerte Überraschungen, überzeugt auf der anderen Seite aber mit einem alles überstrahlenden Bösewicht. Die Story ist dabei so dreckig wie die Matsche, auf dem ein Großteil der Handlung vonstattengeht und gegen Ende auch mindestens genauso hart wie das Holz, aus dem Emile Hirsch im Film seine Särge zimmert. Ein „feel-bad-movie“ im besten Sinne und ein kleiner Geheimtipp für Anhänger vergleichbarer Stoffe. Bei Amazon Prime Video abrufbar!

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

(79/100)  

Bilder: ©Koch Films

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