Bei manchen Filmen weiß der Zuschauer schon nach wenigen Momenten, woran er ist. Wo viele Werke sich in Kryptik hüllen und möglichst viel Spannung durch Undurchsichtigkeit generieren, gibt es als Kontrast jene, die ihre Zuschauer innerhalb von Minuten einnorden und auf das vorbereiten, was sie erwartet. „Ema“ fällt zweifelsohne in die zweite Kategorie und reiht direkt zu Beginn sphärische Tanzeinlagen an von Tristesse durchzogene Dialoge. Tonnenschwere Dramatik trifft auf tänzerische Leichtigkeit, es folgt: ungestüme Kunst inmitten von persönlicher Tragik.

von Cliff Brockerhoff

Pablo Larraín kehrt mit seiner nunmehr achten Regierarbeit zurück zu seinen Wurzeln, nicht nur geographisch. Der Chilene erzählt von Ema, der titelgebenden Hauptfigur. Ihr Name lässt sich mit „die Große“ gleichsetzen und ist nicht zufällig auch der Beginn des Wortes für die gesellschaftliche Gleichstellung der Frau. Die strohblonde Tänzerin steht dabei vor den Scherben ihrer Ehe. Der Versuch die Beziehung mit der Adoption eines Kindes zu retten schlug fehl und der Sohn wurde nach mehreren Eskapaden mittlerweile kurzerhand wie ein fehlerhafter Artikel retourniert. Zur Kompensation sollen zwanglose Liebschaften und leidenschaftliche Tänze herhalten, doch Ema kämpft gegen ihre inneren Dämonen und verfolgt ein ambitioniertes Ziel.

Anders als beim Großteil der heutigen Filme konfrontiert das chilenische Drama seine Zuschauer vom Start weg mit den sich aufgehäuften Trümmern. Die Charaktere haben bereits jeglichen Respekt voreinander verloren, überschütten sich mit schmerzhaften Vorwürfen und wir werden Zeuge von aufgestauter Wut, gebrochenem Vertrauen und dem krampfhaften Versuch der Verdrängung. Auch wenn die Story sich episodenhaft und oftmals nicht chronologisch zusammensetzt, fügt sich alles nach und nach ineinander und der Betrachter beginnt zu verstehen, welch Unglück zugrunde liegt. Eines ist dabei besonders bemerkenswert: obwohl Gastón, der angehende Ex-Ehemann, und insbesondere seine zwölf Jahre jüngere Partnerin in keinster Weise sympathisch sind oder handeln, schafft der Film eine unaufdringlich intime Atmosphäre, aus der eine emotionale Verbindung erwächst. Nicht stark genug um die Protagonisten zu lieben, aber gerade genug um das Treiben interessiert zu verfolgen.

Hier schlägt der Film eine schöne Brücke zwischen Handlung und Herangehensweise. Innerhalb der Erzählung profitiert die fragile Tänzerin immer wieder von der eigenen Schönheit, blendet so ihre Mitmenschen und kann ihr Umfeld mittels körperlicher Reize zu Taten bewegen, die jedweder Moral und Vernunft entbehren – alles um ihr Vorhaben zu realisieren. Und auch das Werk per se wählt einen ähnlichen Zugang. Durch immer wieder eingestreute Bilder von beinahe manischer Grazie zieht die Inszenierung das Interesse auf sich, retuschiert die psychologischen Abgründe der Charaktere und hüllt den Zuschauer in eine wohlige Wärme, voll von atmosphärischer Anmut. Fluoreszierende Farben umspielen nackte Körper, kraftvolle Klanggerüste betören derweil die Hörgänge und das unkonventionelle Konstrukt schreckt nicht davor zurück seine Zuschauer mit Anlauf vor den Kopf zu stoßen.

Wer es bis hierhin noch nicht herauslesen konnte: „Ema“ ist vielmehr artifizielle Geschichte als herkömmlicher Spielfilm, arbeitet gerne mit Farben und Formen, erklärt nur so viel wie gerade notwendig, lässt eine Menge Dialog unausgesprochen und überlässt somit den Großteil der Interpretation – bis sich am Ende eben alles zusammensetzt. Ein zentrales und immer wiederkehrendes Motiv ist dabei das des Feuers. Schon im Zusatz des Filmtitels („Sie spielt mit dem Feuer“) aufgegriffen, steht es sinnbildlich für Gefahr, dient aber ebenso zur metaphorischen Veranschaulichung inneren Antriebs, kann zur Reinigung herangezogen werden und ist ironischerweise bei der Brandbekämpfung oftmals hilfreicher als Wasser. Ab und an verliert sich Larraín in dieser überbordenden Stilistik, doch wenn Ema mit einem Flammenwerfer der subjektiven Wut Ausdruck verleiht und so ihr inneres Feuer neu entfacht, ist das zwar keine nie dagewesene Idee, aber ein immens effektives und beeindruckendes Statement.

Fazit

Pablo Larraíns prismatische Erzählung lässt die Herzen von Cineasten im Takt der Musik höher schlagen. „Ema“ ist kein einfaches Kino, folgt keinem strengem Narrativ und vermittelt viele Inhalte lediglich durch Visualisierung und Akustik. Wer allerdings willens ist sich vollends darauf einzulassen, erlebt einen wahren Rausch, wird Zeuge ungezähmter Filmkunst und verfällt diesem betörenden Erlebnis schneller, als der Junge mit der Trommel sich zu drehen im Stande ist. Nicht frei von Makeln ist das Werk letztlich ein gleichermaßen düsteres, wie auch pulsierendes Abbild gelebter Emanzipation. Digital ab dem 18. März abrufbar, ab 25. März als BluRay und DVD erhältlich. Weitere Infos findet ihr hier.

Bewertung

Bewertung: 8 von 10.

(80/100)

Bilder: ©trigon-film.org

Wer nun Lust auf den Film bekommen hat, kann bei unserem Gewinnspiel je eine BluRay und eine DVD von „Ema – Sie spielt mit dem Feuer“ gewinnen. Sendet dazu einfach eine Mail mit dem Betreff „ICH WILL TANZEN“ und eurer vollständigen Adresse an filmpluskritik@web.de. Das Verlosungsmaterial wurde uns freundlicherweise vom Verleih zur Verfügung gestellt und wird nach Beendigung des Gewinnspiels (24. März 2021, 20:00 Uhr) an euch versendet. Ihr erhaltet eine separate Gewinnbenachrichtigung. Wir wünschen allen Teilnehmern viel Glück!