Vor einigen Tagen erschien auf der Website von Bayern 2 ein Kommentar des Autors Ferdinand Meyen (hier nachzulesen), der dort behauptet, die „Herr der Ringe“-Filme wären rassistisch. Natürlich, entsprechende Vorwürfe hatte es schon früher gegeben, auch in Bezug auf die Bücher, die noch einige Jahrzehnte mehr auf dem Buckel haben, sie erschienen allerdings wenig nachvollziehbar und nur als eine mögliche Lesart oder Interpretation eines dichten literarischen Stoffes, der vieles bedeuten kann. Im Kontext der US-Debatten um „strukturellen Rassismus“ und „Cancellation“ möchte der Autor nun seine, wie er selbst sagt heiß geliebten Lieblingsfilme, einer „Prüfung“ unterziehen, ob er sie denn nun noch mögen dürfe, oder man diese Filme am besten verbieten sollte.

Was sind die Argumente des Autors, die ihn zur Erkenntnis führen, dass die Filme „rassistisch“ wären? Sie sind schwach und folgen einer eindimensionalen Erklärungslogik, die derzeit vieles oder alles im Kontext von „Rasse“ und „Identität“ lesen möchte. Er meint, allein die Tatsache, dass die zentralen Figuren alle „weiß“ wären, belegt, dass „Herr der Ringe“ „rassistisch“ ist. Und dass das „Gute“ leuchtend-weiß und das „Böse“ (Sauron und seine Schergen) dunkel-schwarz erscheint, ist ein weiterer, eindeutiger Beleg. Dass „das Gute“ und „das Böse“ seit jeher und insbesondere in der christlich-religiösen Mystik mit Licht-und-Schatten-Symbolik dargestellt wurde, die rein gar nichts mit Rasse oder Hautfarbe zu tun hat, ignoriert er oder weiß er einfach nicht. Zudem: „Herr der Ringe“ ist eine Geschichte von Heldenmut und Tapferkeit, die auch vermittelt, dass es Zusammenarbeit von vielen – ja, sogar Rassen! (obwohl dieser Begriff heute unpassend erscheint, im Kontext des Stoffes aber durchaus Sinn macht) – geben soll und muss, um eine große Bedrohung abzuwenden. So unterschiedliche Völkchen wie Menschen, Elfen, Zwerge, Hobbits und sogar sprechende Bäume überwinden ihre Differenzen und gegenseitigen Vorurteile und arbeiten zusammen, um sich gegen die „dunklen Mächte“ Saurons zu stellen. Man könnte das ebenso gut als Ausdruck einer „anti-faschistischen“ oder gar multikulturellen Ideologie lesen, all jene guten Willens verbünden sich zum Widerstand gegen einen absolutistischen Herrscher, der nur Leid und Verderben bringen, die Macht an sich reißen und alle anderen unterjochen möchte.

Überhaupt: Wer ist denn der Ringträger, der seltsame Held, der schließlich das Schicksal von ganz Mittelerde in den Händen hält? Nein, nicht etwa ein edler Elf, ein starker Zwerg oder ein kluger Mensch, sondern der kleine, unscheinbare, auf den ersten Blick „schwache“ Hobbit Frodo: Man könnte auch hier eine progressive, emanzipatorische Message erkennen – wenn man denn alles politisieren möchte.

Autor Meyen vermischt in seinem Text auch ständig Ebenen: Es stimmt, dass die zentralen Figuren von „Herr der Ringe“ männlich sind, das ist wohl der Entstehungszeit des Ursprungstext geschuldet, als es hauptsächlich Männer waren, die in der „Öffentlichkeit“ auftraten und Heldenhaftigkeit und Stärke beweisen mussten. (Auch heute ist es übrigens noch immer so, dass es in erster Linie Männer sind, die in den Krieg ziehen/geschickt werden…) Gleichzeitig gibt es mit Arwen und Eowyn starke weibliche Nebenfiguren, die für die Handlung von großer Bedeutung sind. Ja, man kann sich aus heutiger Sicht daran stoßen, dass es zu wenige oder zu wenig präsente weibliche Charaktere gibt. Vor allem aber sollte man das nicht als Beleg für „Rassismus“ (?) anführen, wie das der Autor in seinem Text macht. Überhaupt scheint seiner „Analyse“ ein seltsames, fragwürdiges Verständnis von Kunst, Geschichte und Gesellschaft zugrunde zu liegen, das die meisten dieser in den letzten Jahren erschienenen Kunst-Revisionen teilen: Die Vorstellung, dass die Gegenwart ultimativ ist, der derzeitige Stand gewisser Debatten (oder: die Lesart gewisser Debatten in der eignen Bubble) absolut und dass „Älteres“ immer nur aus Sicht der Gegenwart interpretiert werden kann und darf. Das politische, historische Wissen dieser selbsternannten „Kulturkritiker/innen“ beginnt meist nicht vor 2000, alles davor ist entweder rassistisch, sexistisch oder irgendein anderes Attribut, das die gesamte Menschheitsgeschichte bis heute in einem Satz erklären lässt. Dass etwa ein Film aus dem 1950 oder 1970 manche aus heutiger Sicht fragwürdige Aspekte enthalten mag, aber dafür ebenso viele andere, von denen man lernen oder sich inspirieren lassen könnte (etwa, was Freiheit und Originalität des künstlerischen Ausdrucks betrifft), ist für viele „woke“ Autor/innen undenkbar. Es ist dies Ausdruck einer immer illiberaler und eingeengter werdenden Diskussions- und Meinungs(un)kultur, die all das, was ihr entgegensteht oder ihr nicht gleich ist ausschließen, diskreditieren oder canceln möchte, anstatt argumentative Auseinandersetzungen auf Augenhöhe mit möglichem Erkenntnisgewinn auf beiden Seiten zu führen.

Das Fazit des oben erwähnten Autors wirkt schließlich ähnlich hilflos und schwach wie seine Argumentation davor: Ja, „Herr der Ringe“ ist klar rassistisch, aber schauen darf man (er selbst) die Filme trotzdem noch, man darf sich mitunter sogar daran erfreuen, aber „glorifizieren“, nein, das geht wirklich nicht mehr. Stichhaltige Belege oder Argumente für seine Thesen legt er keine vor. Die Leser seines Beitrag scheinen mit dem Text auch nicht so wirklich zufrieden zu sein: Die Bewertungsfunktion auf der Bayern 2- Website offenbart im Mittel 1.5 von 5 Sternen für den Aufsatz. Was wäre mein Fazit zur aktuellen Auseinandersetzung mit Filmklassikern und zu einem um sich greifenden Revisionismus? Entspannung täte allen gut. Film ist ein Unterhaltung- und Kunstmedium, ob Film (oder irgendein Medium) per se politisch ist oder sein muss, ist für sich genommen eine zu stellende Frage, die ich persönlich mit „nein“ beantworten würde. Natürlich bildet Film, wie jede Kunst, auch Gesellschaft ab, das „Politische“ ist ein Aspekt, gleichzeitig sehe ich Film in erster Linie als ein dramaturgisches und ästhetisches Medium, das anhand entsprechender Qualitäten zu bewerten ist. Gesellschaftliche Aspekte können und sollen thematisiert werden, wenn das im Interesse des/der Rezipienten/in oder Kritikers/in ist, müssen sie aber nicht. Und in keinem Fall sollte eine analytische Einengung auf eine einzig gültige Lesart erfolgen, die noch dazu alle anderen ausschließen will; die das Ergebnis der Analyse schon vorab bereitstellt, ohne sich mit dem Inhalt des Werks auseinanderzusetzen. Wie eben geschehen im konkreten, oben geschilderten Fall: Das Ergebnis („Herr der Ringe ist rassistisch“) stand schon vorab fest, der Autor versuchte dann, sich Argumente aus den Fingern zu saugen, die seine These (scheinbar) belegen. Die Interpretation, dass „Herr der Ringe“ auf einer Dualität aus „hellen“ und „dunklen“ Geschöpfen gründet, ist eine mögliche – doch noch nicht einmal diese, sollte sie zutreffen, wäre ein Beleg für einen dem Stoff inhärenten „Rassismus“, der ja noch dazu durch die Verfilmung von anderen Augen gefiltert und neu interpretiert wurde. Zudem ergeben sich mindestens 3 weitere (vermutlich unendlich viele) Lesarten, die eine komplett andere Interpretation nahelegen.

Wir sollten uns die Freude an von uns geliebten Filmen, Büchern oder anderen Kulturprodukten aus unserer Kindheit oder Jugend nicht nehmen lassen oder uns „schuldig“ fühlen, weil wir Dinge gemocht haben, die heute vielleicht in etwas anderem Licht erscheinen. Nicht alles muss „neu belichtet“ werden. Und wenn eine Revision doch nötig ist, sollte man auf Kontextualisierung statt „Verbote“ setzen. Denn wer ein bisschen historisches Bewusstsein hat, sollte wissen, dass Bücherverbrennungen (folglich „Filmverbrennungen“, wenn auch nur symbolisch, in Sozialen Medien) selten Vorboten begrüßenswerter gesellschaftlicher Entwicklungen waren. Im Gegenteil.

von Christian Klosz

weiterlesen: Kritik zu „Der Herr der Ringe – Die Gefährten“

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Bild: Fotomontage